Der Übergang von einer kraftstoff- zu einer strombasierten Energiewirtschaft ist in vollem Gange. Eine Reihe von Technologien steht dafür bereit, dass Strom aus erneuerbaren Quellen die fossilen Brennstoffe auch in der Wärmeversorgung, in industriellen Prozessen und im Verkehr ersetzen kann. Immer mehr Betriebe gehen dabei den klimafreundlichen Weg der dezentralen Eigenversorgung mit Ökostrom und installieren zum Beispiel eine Photovoltaik- oder kurz PV-Anlage auf dem Firmendach. Wo liegen die Möglichkeiten und Hindernisse für Unternehmen, die selbst erzeugten Ökostrom ins Netz einspeisen? Diese und weitere Fragen beantwortet Kerstin Andreae, ehemalige Grünen-Politikerin und heutige Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Das stimmt. Um fossile Energieträger zu ersetzen, wird hier künftig deutlich mehr grüner Strom nachgefragt – auch in den Bereichen Verkehr und Industrie. Trotz der stetig steigenden Effizienz elektrischer Geräte ist zu erwarten, dass der Stromverbrauch in den kommenden Jahren deutlich ansteigen wird.
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir die erneuerbaren Energien deshalb noch deutlich ambitionierter ausbauen. Wir brauchen einen nie dagewesenen PV-Boom. Hemmnisse für den Windenergieausbau müssen endlich beseitigt werden. Auch der Aus- und Umbau der Energienetze muss vorangetrieben werden. Nur ein konsequenter Netzausbau stellt sicher, dass grüne Energie jederzeit dorthin gelangen kann, wo sie gebraucht wird.
Die Energieversorger sind bei dezentralen Anwendungen nicht nur Energielieferanten. Sie werden zu Energiedienstleistern: Sie stellen die Infrastruktur und sorgen für ein stabiles System. Für dezentrale Selbstversorger, wie zum Beispiel Gewerbebetriebe, können sie Geschäftsmodelle aufsetzen oder Paketlösungen anbieten, beispielsweise PV-Anlagen mit Speichern, für die sie auch noch die Arbeitsschritte bis zur Inbetriebnahme übernehmen.
Für das einzelne Unternehmen wäre die komplette Eigenversorgung ohne Netzanschluss sehr teuer. Die Einspeisung von nicht selbst genutztem Strom sowie der Bezug von Netzstrom bei einer Unterversorgung sind wesentliche Komponenten eines dezentralen Energiesystems. Wichtig ist, dass die Systemstabilität und die Finanzierung der Infrastruktur auch bei hohen Anteilen dezentraler Energieerzeugung und -nutzung noch gewährleistet sind. Derzeit ist dies noch nicht der Fall. Hier ist die Politik gefragt. Sie muss durch geeignete regulatorische Rahmenbedingungen für eine dauerhaft tragfähige Ausweitung der dezentralen Anwendungen sorgen. Dann wird die Überschusseinspeisung eine attraktive Einnahmequelle für die künftigen Prosumer.
Als Prosumer bezeichnet man Verbraucherinnen und Verbraucher (engl. Consumer), die ein von ihnen verwendetes Produkt selbst produzieren. Bezogen auf die sich wandelnde Energiewirtschaft werden Konsumentinnen und Konsumenten zu Stakeholdern, die sich am Energiesystem beteiligen. Mitglieder einer Energiegemeinschaft, die zum Beispiel zusammen eine PV-Anlage betreiben, produzieren einen Teil ihres Stroms selbst und sind so unabhängiger von steigenden Preisen. Sie sparen zudem Geld, weil sie ihren eigenen Strom nutzen. Wenn sie den nicht genutzten Strom ins öffentliche Netz einspeisen, erhalten sie dafür eine Vergütung.
Bei Einfamilienhäusern gibt es bereits klare Regeln zum Umgang mit Überschusseinspeisung und Netzbezug. Nach diesen Regeln handeln die Verteilnetzbetreiber, bei denen die PV-Anlagen angeschlossen sind. Kommen wir aber künftig zu einer Energiewelt, die stärker von Prosuming geprägt ist, so wird es auch ausgefeilterer regulatorischer Rahmenbedingungen bedürfen, damit das System auch künftig stabil läuft und nachhaltig finanziert wird. Dann werden noch wesentlich mehr Unternehmen der Energiewirtschaft im Bereich von Dienstleistungen wie zum Beispiel dem Angebot von Komplettsystemen oder der Entwicklung einer dezentralen Energieversorgung für ganze Quartiere aktiv sein. Hier gibt es noch viel Luft nach oben.
Eindeutig bei der Anwendung der neuen Technologien. Ich denke hier an Energiemanagementsysteme, Anwendungen der Elektromobilität oder Stromspeicher. Darüber hinaus wird die Schnittstelle zwischen der dezentralen Eigenversorgung und dem öffentlichen Netz ein wichtiger Punkt sein. Mit der intelligenten Eigenversorgung und dem Beschicken des Energiemarktes durch Belieferung in Zeiten hohen Bedarfs ergeben sich künftig interessante Geschäftsmodelle für die Prosumer und die Energiedienstleister. Die vermutlich längerfristig hohen Energiepreise machen die Eigenversorgung auch wirtschaftlich noch interessanter als bisher und bringen zahlreiche Anwendungen in die Wirtschaftlichkeit.
Ein gutes Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit ist das Projekt GrowSmarter. Der Energieversorger RheinEnergie hat gemeinsam mit Partnerunternehmen am Beispiel der Sanierung eines Stadtquartiers in Köln-Mühlheim den Beweis angetreten, dass Sektorkopplung funktioniert. Die energetische Sanierung des Quartiers mit 900 Wohneinheiten sowie die Verzahnung von Energie- und Wärmeerzeugung, Mobilität und Kommunikationstechnologien hat den Primärenergiebedarf und die Emissionen dort drastisch gesenkt.
Für Quartiersanwendungen, die über die Eigenversorgung mit PV-Strom vom privaten Dach hinausweisen, sind es derzeit vor allem regulatorische Hürden. So gibt es zum Beispiel umfangreiche Messanforderungen. Ein wesentliches Detail ist auch die Regelung, dass eine Wohnungsbaugesellschaft durch die Installation einer PV-Anlage zur Belieferung der Mieter gewerbesteuerpflichtig wird – und zwar nicht nur für den PV-Strom, sondern auch für die Mieteinnahmen. Die Inbetriebnahme einer PV-Anlage kann Monate dauern, da die Abläufe häufig nicht standardisiert sind und zudem mittlerweile auch Fachpersonal zur Errichtung und Inbetriebnahme der PV-Anlagen knapp ist. Wesentliche Vereinfachungen bringt die Digitalisierung, die viele Abläufe automatisiert und so viel Aufwand einspart. Derzeit schreitet sie allerdings noch zu langsam voran.
Die Energieversorger wünschen sich vor allem zukunftsfeste Regeln für die Ausweitung des Prosuming, damit sie sich auf einen dauerhaft gültigen regulatorischen Rahmen verlassen können. Der BDEW arbeitet derzeit an Vorschlägen für eine umfassende Neuregelung des Prosuming. Eine noch offene Frage ist die Rolle der Energiewirtschaft bei der Abstimmung der dezentralen Eigenversorgungsanwender untereinander. Optimieren sich die Selbstversorger jeweils bezogen auf den eigenen Bedarf, so braucht es umso mehr auch Instanzen, die das System ordnen, seine Entwicklung in die richtige Richtung steuern und für Systemstabilität sorgen.
Bei der dezentralen Energiewende ist der Weg das Ziel: Es wird weiterhin große Einspeiser in Kraftwerksstärke geben, wie etwa die großen Windparks auf See und an Land. Viele große PV-Anlagen werden auch künftig ihren Strom ins Netz einspeisen. Gleichzeitig bringen dezentrale Anwendungen die Energiewende in die Städte und lösen dort Investitionen aus. Das macht eine aktive Teilhabe für Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende möglich. Nur so können wir unseren durch Wärmepumpen, Wasserstofferzeugung und Elektromobilität noch wachsenden Strombedarf so schnell wie möglich decken.
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