Christina Ulardic, Partnerin beim belgischen Finanzinvestor Astanor Ventures, über die Ernährung der Zukunft, die Bedeutung von Impact-Fonds und die Zusammenarbeit mit der KfW.
Zur Person
Christina Ulardic ist seit 2020 einer von fünf Partnern bei Astanor Ventures. Vorher hat sie die Geschäftsentwicklung für innovative Risikotransferlösungen im Agrar- und Energiebereich im Mittleren Osten und Afrika bei Swiss Re Corporate Solutions geleitet – und dabei mehrere Start-ups im Fintech und in der Präzisionslandwirtschaft unterstützt.
Frau Ulardic, auf Ihrer Webseite schreiben Sie: „An apple is not an apple“. Was ist für Sie ein Apfel?
Christina Ulardic: Eigentlich nur ein Kernobstgewächs mit ungefähr 30 Vitaminen und Spurenelementen, das durch Pektin den Cholesterinspiegel senkt, Schadstoffe im Körper bindet und wieder ausschwemmt. Aber auch ein Symbol für positive und negative Aspekte in der Lebensmittelherstellung. Wenn Sie in meiner Industrie arbeiten, entwickeln Sie ein Bewusstsein dafür, dass der Nährstoffgehalt je nach Züchtungsmethode und Lieferkette stark schwanken kann und dass der übermäßige Einsatz von Pestiziden zu Rückständen im Obst führen kann.
Ist Ihr 325 Millionen Dollar schwerer Fonds eine Kampfansage gegen die industrialisierte Landwirtschaft?
Nein. Ich habe sehr viele Jahre in Afrika gearbeitet, wo die Kleinbauern ihre Felder unter schwierigen Bedingungen bewirtschaften und die Ernten durch Dürren und Naturkatastrophen gefährdet sind. Ich glaube nicht, dass wir die vielen Menschen in den urbanen Ballungszentren ohne einen industriellen Ansatz ernähren können – seien es Roboter, die Automatisierung ermöglichen, oder moderne Datenanalyse, um besser bewirtschaften zu können. Die entscheidende Frage ist, wie wir es verhindern können, dass wir wertvolle Ökosysteme für den Anbau von Monokulturen zerstören oder unsere Böden mit Schwermetallen belasten. Hier braucht es skalierbare Ansätze, um die Biodiversität zu fördern und CO2-Speicherung in den Böden zu ermöglichen.
Sie haben mehr als 20 Start-ups im Portfolio, die an technologischen Lösungen in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittel und Ozeane arbeiten. Welchen Unterschied zu bestehenden Fonds wollen Sie machen?
Astanor Ventures ist ein Impact-Fonds. Das heißt, wir wählen Unternehmen aus, die nicht nur das Potenzial haben, kommerziell erfolgreich zu sein, sondern auch die Dinge verändern können und wollen. Das gilt auch für uns als Fonds. Wir wollen die Branche verändern und stecken unser Geld ausschließlich in Start-ups, die nach einem positiven Effekt auf Umwelt, Gesellschaft und die menschliche Gesundheit streben.
Was heißt das konkret?
Wir schauen auf Nahrung von „farm to fork“, also von der Herstellung bis auf den Teller, und haben so einen systemischen Blick auf Produktion, Wertschöpfung, Lieferung und den Konsumenten. Unternehmen, in die wir investieren, wollen einen nachhaltigen Beitrag im System darstellen. Sie fördern beispielsweise die Reduktion von chemischen Mitteln, treiben die Umstellung auf mehr pflanzenbasierte Ernährung voran oder ermöglichen die Finanzierung regenerativer Landwirtschaft. Wir sind momentan der größte spezialisierte AgriFood VC Fonds und investieren sowohl in Europa als auch in den USA. Aufgrund des Fondsvolumens haben wir die Möglichkeit, sehr früh in Unternehmen zu investieren, können jedoch auch mit Wachstumskapital unterstützen.
Um einen Überblick über die Bandbreite Ihres Fonds zu bekommen: Welche Unternehmen haben Sie im Portfolio?
Astanor Ventures ist bereits an mehr als 20 Start-ups in Europa und den USA beteiligt. Beispielsweise das Unternehmen Ynsect, das in Frankreich gerade eine riesige Insektenfarm aufbaut. Das Schweizer Start-up Vivent, das elektrochemische Signale misst, die Pflanzen aufgrund äußerlicher und innerlicher Ereignisse senden – und damit den Umgang mit Pflanzen revolutionieren könnte. Oder das britische Start-up Notpla, das Verpackungsmaterialien aus Seetang herstellt, die man aufessen kann.
Wie gehen Sie bei der Auswahl der Unternehmen vor?
Sehr wichtig für uns ist das Team: Sind die Gründer in der Lage, ein Unternehmen aufzubauen, strategische Partnerschaften einzugehen, Talente in das Unternehmen zu holen und die Technologie zu kommerzialisieren? Auch Wettbewerbsvorteile spielen eine Rolle: Patente, um das Produkt zu schützen, oder die Umsetzbarkeit und Skalierbarkeit in frühen Phasen einer Technologieentwicklung. Außerdem müssen das Unternehmen, das Produkt oder die Idee in den Rahmen unserer Strategie passen, ein nachhaltiges Ernährungssystem zu fördern.
Was sind gerade Ihre Schwerpunkte?
Momentan setzen wir sehr auf pflanzliche Produkte, die Fisch oder Fleisch ersetzen können. Dabei sind die Ansätze sehr vielfältig, angefangen von enzymgesteuerten Prozessen, um Proteine herzustellen, bis zum Laborfleisch. Ein weiterer Trend ist die Präzisionslandwirtschaft – wie beispielsweise die Integration vielfältiger Daten in operativen Systemen oder der Einsatz von selbstgesteuerten Maschinen. Die Entwicklungen in der synthetischen Biologie zielen momentan unter anderem darauf ab, funktionelle Materialien ohne tierische Produkte herzustellen. Andere große Themen sind Dekarbonisierung, Abfallverminderung, Transparenz in der Wertschöpfungskette, „food as medicine“ oder das „Upcycling“.
Welcher Schwerpunkt hat in Ihren Augen das größte Potenzial?
Ich denke, wir werden in der Zukunft vermutlich eine Mischung von Lösungen sehen. Momentan sind biotechnologische Lösungen und der Indoor-Anbau („vertical farming“) außerhalb von Nischenanwendungen noch ziemlich teuer. Die Kosten sinken jedoch rapide. Ein anderer Aspekt ist der Energieverbrauch. Durch die Klimakrise brauchen wir mehr regenerative Energiequellen. Wünschenswert aus meiner Sicht wäre der Erfolg der regenerativen Landwirtschaft, die mit modernen Methoden eine Vielzahl von Organismen für Produkte nutzt. Es gibt neben dem am Anfang beschriebenen Apfel viele Möglichkeiten, die benötigten Nährstoffe aufzunehmen: beispielsweise Hülsenfrüchte wie Lupinen als Alternative zu Soja. Oder Makroalgen, die beim Wachstum im Meer CO2 aufnehmen und exzellente Quellen für Vitamine, Minerale und Ballaststoffe sind.
Warum glauben Sie, dass ein Fokus auf ESG-Kriterien überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen kann?
Die Ansprüche an Unternehmen haben sich gewandelt. Heute wollen die Konsumenten wissen, woher ihre Nahrung kommt und ob die Unternehmen nachhaltig denken. Nehmen Sie Deliveroo als Negativbeispiel. Das Unternehmen ist gerade an die Börse gegangen. Es gab einige Investoren, die sich öffentlich distanziert haben – aufgrund der niedrigen Löhne und der schlechten Stellung der Arbeiter. Die Aktie ist nach der Emission um 20 Prozent gefallen.
Stichwort Greenwashing: Was kann ein Fonds in dem Bereich wirklich bewirken?
Wenn Sie mich so fragen, kann ich Ihnen nicht versprechen, dass wir die Welt verändern werden. Ich denke allerdings, dass wir Teil einer Bewegung sind, die sich Gedanken darüber macht, wie Kapital eingesetzt werden kann, um gezielt Innovationen voranzutreiben, die ethische, gesundheitliche oder umweltrelevante Probleme lösen.
Astanor wurde 2017 von Eric Archambeau und George Coelho ins Leben gerufen. Gab es eine Initialzündung für die Gründung des Fonds?
Einer unserer Gründer hat in Jamie Olivers Food Foundation gearbeitet und dort eine Menge über Zuckerkonsum, Nährstoffe und ungesunde Ernährung erfahren. Dazu kam die Erkenntnis, dass die technologischen Umwälzungen, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern, in der Landwirtschaft bis dahin noch nicht stattgefunden hatten. Das aktiv zu verbessern – das war so ein Aha-Moment, der zur Gründung von Astanor führte.
Wer inspiriert Sie?
Ich bin persönlich sehr stark motiviert von den Unternehmerinnen und Unternehmern, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie alle sind überzeugt, dass ihre Idee oder ihr Produkt Erfolg haben wird. Am Anfang sind sie mit allen technischen, finanziellen, kommerziellen und personellen Aufgaben betraut. Sie müssen Investoren wie uns überzeugen, dass alle Unsicherheiten des kommerziellen Erfolges mit einer guten Strategie gemeistert werden können. Längst nicht alle schaffen es: Ein Unternehmen liquidieren zu müssen, ist im VC-Bereich sehr wahrscheinlich.
Astanor
Astanor Ventures wurde 2017 in Brüssel gegründet. Heute arbeiten in dem belgischen Unternehmen insgesamt 15 Mitarbeiter:innen. Astanor investiert in über 20 Start-ups in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittel und Ozeane.
Womit wäre den Gründern am ehesten geholfen?
Die technologischen Grenzen werden momentan sehr schnell verschoben. Nicht immer hält die Regulierung Schritt. Es ist beispielsweise recht zeitaufwendig, in der EU durch den „Novel foods“-Prozess zu gehen. Dadurch kann sich die Markteintrittsgeschwindigkeit europäischer Unternehmen verlangsamen, das bedeutet Nachteile gegenüber der US-Konkurrenz. Und die ist für europäische Unternehmen immer noch der Maßstab. Es ist wesentlich einfacher, Risikokapital in den USA aufzunehmen.
Welche Qualifikationen bringt Ihr Management-Team mit, um auch die richtigen Unternehmen auszuwählen?
Wir haben im Fonds eine Mischung von Kompetenzen. Das Gründerteam hat über viele Jahre in den USA und Europa VC-Fonds erfolgreich aufgesetzt und überdurchschnittliche Renditen erwirtschaftet. Das breite Investitionswissen und die Netzwerke nutzen wir natürlich. Außerdem haben wir im Kern-Team fachliche Kenntnisse und Kenntnisse in der allgemeinen Geschäftsentwicklung. Unsere Berater sind Spezialisten, die ihrerseits weitere Experten mobilisieren können. Dazu kommen natürlich rechtliche und juristische Kenntnisse.
Wie wichtig sind staatliche Fonds-Investoren wie KfW Capital?
Wir verstehen uns, wie gesagt, als Impact-Fonds, der auf eine positive Wirkung Wert legt. Bei unserer Gründung war das etwas Neues. Auch wenn unsere Partner in ihren beruflichen Karrieren sehr erfolgreich waren, konnten wir für unseren jungen Fonds selbst noch keine Performance-Kennzahlen oder Track Records vorzeigen. Trotzdem wurden wir von der KfW unterstützt. Institutionelle Investoren wie die KfW ermöglichen es First Time Teams, neue Fonds mit innovativen Investmentansätzen ins Leben zu rufen und durch ihre Investments wichtige Signaleffekte für andere Investoren zu setzen. Unser großes Fondsvolumen ist Ausdruck dafür.
Wo will Astanor in zehn Jahren stehen?
Wir wollen ein Unternehmen bauen, das zum einen durch Folgefonds in zunehmend mehr Unternehmen investiert und diese bei ihrer Kommerzialisierung unterstützt. Zum anderen wollen wir auch als Firma einen Beitrag leisten zum Erkenntnisgewinn und zum Austausch von technologischen Lösungen mit allen Akteuren der Gesellschaft.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: 28. Juni 2021
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