Der Hamburger Jürgen Perschon und der Schauspieler Bjarne Mädel engagieren sich für die Mobilitätswende in Afrika. Im Interview mit KfW Stories sprechen die beiden über ihre Motivation, die Unterstützung durch die KfW-Tochter DEG und über das Fahrrad AfricroozE, das Menschenleben retten kann.
E-Bikes für Afrika
Video: KfW Stories hat den Schauspieler Bjarne Mädel und den EURIST-Gründer Jürgen Perschon in Hamburg besucht und zur ihrer Initiative interviewt (KfW/Chua/Schuch/Sperl).
Herr Perschon, wie kommt man auf die Idee, Elektrofahrräder nach Afrika zu schicken?
Perschon: Die Idee kam auf, als ich das letzte Mal in Uganda war, wo wir gesehen haben, dass auf immer mehr Dächern Solarzellen waren. Und gleichzeitig sieht man hier in Deutschland die ganzen E-Bikes. Das war für mich und meine Initiative EURIST der Moment, mal darüber nachzudenken, ob man das kombinieren kann.
Warum unterstützen Sie dieses Projekt, Herr Mädel?
Mädel: Manchmal heißt es ja, wir wollen alles verändern, wir wollen, dass es gar keine Autos mehr gibt. Und das ist dann ein bisschen spinnert. Diese Sache mit den Fahrrädern, die war einfach so machbar und simpel, dass ich sofort überzeugt war von dem Projekt.
Gibt es noch höhergesteckte Ziele, die Sie mit dem Projekt erreichen wollen?
Perschon: Wir wollen die Klimawende in Afrika mit Zweiradmobilität anschieben. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Aber es sind natürlich auch soziale und ökonomische Aspekte. Also dabei helfen, Startups zu gründen, Arbeitsplätze zu schaffen und Frauenmobilität zu ermöglichen. Frauen sind die ökonomischen Kräfte auf dem afrikanischen Kontinent.
Mädel: Wir müssen begreifen, dass wir uns diese Welt teilen und dass es nicht reicht, wenn es hier an der Alster hübsch aussieht. Wir müssen global denken. Die Abgase werden in den westlichen Staaten produziert, hier in der ersten Welt. Und in der dritten Welt leidet man unter unserem Luxus. Und deshalb finde ich, ist es eine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass es den Menschen in Afrika besser geht. Und so ein E-Bike kann dazu beitragen.
Haben Sie jetzt eher eine Affinität zu Fahrrädern oder zu Afrika?
Perschon: Ich bin als Student 1996 mit meinem eigenen Fahrrad 3.000 Kilometer durch Ostafrika geradelt und habe gesehen, welche Bedeutung ein Verkehrsmittel für eine Familie haben kann. An diesem Punkt ist der Funke übergesprungen.
Mädel: Ich bin nicht so ein Fahrradfahrer. Es gibt aber eine Affinität zu Afrika.
Wie kam es dazu?
Mädel: Ich habe in Nigeria gelebt, als ich 14 war. Und schon damals war in der Hauptstadt Lagos kein Durchkommen mehr. Das ist eine Großstadt, die für 900.000 Menschen gebaut war, und damals lebten dort schon neun Millionen. Die Leute ziehen vom Land in die Stadt. Mal abgesehen davon, was es mit der Umwelt macht, dass immer mehr Leute Motorrad und Auto fahren - so ein Chaos ist irgendwann nicht mehr zu koordinieren. In solchen Großstädten ist es vielleicht schon zu spät, da kommt man nicht mehr hinterher. Aber in kleineren Städten sind gerade viele dabei, die Politiker zu überzeugen, Radwege rechtzeitig anzulegen und die Leute aufs Fahrrad umsteigen zu lassen.
Was ist das für ein Fahrrad, auf das Sie die afrikanische Bevölkerung umsteigen lassen wollen?
Perschon: Die E-Bikes werden in Indien vom weltgrößten Fahrradhersteller Hero Cycles für einen Bruchteil der üblichen Kosten produziert. Alle Teile, von der Schraube bis zum Tretlager, von der Speiche zur Felge, wurden nach deutschen Maßstäben entworfen und in Indien zusammengesetzt. Herausgekommen ist ein E-Bike, das am Ende eine Ladekapazität hat von 460 Wh, 30 km/h schnell fahren kann und 40 bis 50 Kilometer im Radius bewältigt. Letztlich ist es durch das Expertenwissen der afrikanischen Partner designt worden. Die haben gesagt, wir brauchen einen niedrigen Einstieg, damit Frauen damit fahren können. Wir brauchen den Look eines Motorrads, weil das Fahrrad in Afrika kein Statussymbol ist. Wir brauchen einen anderen Namen und haben es AfricroozE genannt. Damit haben wir das E-Bike für den afrikanischen Kontinent neu erfunden. Und: Fast alle Ersatzteile sind auf den lokalen Märkten erhältlich.
In Deutschland ist ein E-Bike eher ein Lifestyle-Produkt, und in Afrika soll es Grundbedürfnisse befriedigen…
Perschon: Hier sind wir tatsächlich auf Unverständnis gestoßen, weil man gesagt hat, das ist doch viel zu teuer für die Afrikaner, das können die sich nicht leisten. Aber wenn Lasten-E-Bikes gebraucht werden, dann auf dem afrikanischen Kontinent, wo viel transportiert werden muss. Hier in Europa geht es eher darum, die Fahrradkultur weiterzuentwickeln und Leute vom Auto auf das Fahrrad zu bekommen. Aber in Afrika ist das eine ganz andere Geschichte.
Mädel: Das Rad kann dort auf verschiedene Arten benutzt werden. Es dient dazu, Lasten zu transportieren, also zum Beispiel Wasser, oder auch Menschen, es funktioniert als Taxi. Es gibt auch einen Anhänger, der als Ambulanz benutzt werden kann. Ich war in Uganda und habe mir das vor Ort angeschaut. Und das hat mich sehr beeindruckt, dass man mit einem Fahrrad, das mit der Sonnenenergie angetrieben wird, Menschenleben retten kann.
Menschenleben retten?
Mädel: Wir haben vor einem Gesundheitszentrum gedreht, als ein Motorrad mit drei Menschen angefahren kam. In der Mitte saß eine schwangere Frau, und der lief das Blut an den Beinen runter. Es ist eben keine angemessene Transportmöglichkeit für Kranke oder Schwangere, auf dem Motorrad über die Pisten gefahren zu werden. Aber das ist die einzige Möglichkeit, die sich viele leisten können, weil ein Auto oder Taxi unerschwinglich ist. Busse gibt es nicht. Daher rettet es Leben, die Dörfer mit solchen Fahrrädern auszustatten und dann, wenn bei einer Geburt etwas schiefgeht, die Frauen in Gesundheitszentren zu transportieren. Wir haben uns dann hinterher erkundigt, wie es der Frau geht. Die hat das überstanden. Aber die Krankenschwester hat uns erzählt, dass das nicht immer so ist. Manche Frauen kommen schon tot auf dem Motorrad dort an. Und das hat mich wahnsinnig schockiert und mich noch mal mehr motiviert, das Projekt zu unterstützen.
Wie viele dieser Fahrräder sind bereits in Afrika unterwegs?
Mädel: Das Projekt hat angefangen mit drei Fahrrädern. Die sind über 20.000 Kilometer gefahren, nur von der Sonne angetrieben. Und jetzt kommt ein Container nach Uganda mit 100 Fahrrädern.
Perschon: Das Pilotprojekt mit den ersten 100 E-Bikes, das ist über die KfW-Tochter DEG gedeckt. Wir haben Mittel bekommen, um 100 E-Bikes herzustellen und diese in Uganda zu testen. Wir haben uns vorgenommen, bis 2022 2.000 E-Bikes in Ostafrika einzusetzen. Wir peilen eine Größenordnung an, die im fünfstelligen Bereich liegt. Wir können eine Verkehrswende in den Ländern des Südens nur dann anschieben, wenn wir in großen Zahlen denken.
Ist das nicht trotzdem nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Mädel: Das Projekt wird nicht die ganze Welt verändern, aber wenigstens in Teilen wird es verhindern, dass es noch mehr Autos gibt. Jeder, der ein E-Fahrrad fährt, braucht sich kein Motorrad zu kaufen. Und das erleichtert das Leben der Menschen. Ich bin pessimistisch, ob man den Lauf der Welt mit dem E-Fahrrad aufhalten kann. Das glaube ich nicht. Aber vielleicht kann man ein bisschen auf die Bremse treten.
Veröffentlicht auf KfW Stories am 27. Oktober 2021.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 7: Nachhaltige und moderne Energie für alle
Knapp 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie stammt immer noch aus fossilen Energieträgern. Aus der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen unter anderem Kosten für das Gesundheitssystem aufgrund der Luftbelastung und Kosten wegen Klimaschäden, die der Allgemeinheit und nicht nur den Verursachern schaden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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