Ein städtischer Geschossbau in Holz – das schien lange tabu. Doch ein Leipziger Architekt zeigt mit seiner Baugemeinschaft, dass es nicht nur ökologisch ist, den Wald in die Stadt zu holen, sondern auch ein echter Hingucker im Stadtbild werden kann. Das Projekt erhielt den 3. Preis beim KfW Award Bauen 2019 in der Kategorie Neubau.
3. Preis: Neubau
Sachsen, Leipzig (KfW Bankengruppe/n-tv).
Das Grundstück läuft zwischen zwei Straßen spitz zu wie ein Tortenstück; es war von Altlasten verseucht und galt als schwer bebaubar. Doch das schreckte Dagmar Janik-Stenzel und Dirk Stenzel nicht ab, sondern forderte sie heraus – auch wegen der attraktiven Lage im Leipziger Stadtteil Lindenau unweit der lauschigen Parkanlage Palmengarten.
2014 erwarben die Büromöbel-Händlerin und der Architekt es gemeinsam mit anderen in einer Baugemeinschaft, die sich wegen der Adresse Zschochersche Straße 8 „Z8“ taufte. Dirk Stenzel hatte aus Holz bereits ein kleines Stadthaus und einen Gewerbebau gebaut. Seit fünf Jahren trägt sein Büro die Nachhaltigkeit im Namen, und so war er bereit für Größeres: „Ich wollte dem Holz in Leipzig den Weg bereiten.“
Die Stadtverwaltung zeigte sich offen für das Projekt und genehmigte, abweichend von der Bauordnung, eine Holzfassade. Stützen und Träger mussten etwas dicker als statisch nötig werden, damit sie einem Brand 90 Minuten standhalten, und ein Treppenhaus aus Beton wurde Pflicht.
In den unteren zwei Etagen des Hauses residiert hinter großen Schaufenstern der Laden. Hier gibt es kaum Wände, alles ist großzügig und hell. Doch auch die vier Wohnungen in den oberen drei Stockwerken sind sehr offen gestaltet: bis 195 Quadratmeter groß, ausgestattet mit Loggien und Dachterrassen.
Auf dem Dach plant die Gemeinschaft zurzeit einen gemeinsamen Dachgarten. Von dort schweift der Blick weit übers verwinkelte Quartier, wo sich Klein und Groß, Alt und Neu derzeit bunt mischen. „Der Stadtteil hat Potenzial“, sagt Dirk Stenzel.
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Spitzenleistung
Hoch ragt das Holzhaus an der Straßenecke auf – ein echter Hingucker.
Spiel mit der Fassade
Die Fassade aus Holz und Glas, das Gesicht des Hauses, wirkt sehr urban mit den ringsum laufenden waagerechten Metallbändern. Sie erinnern an die dynamische Großstadt-Moderne der 1920er-Jahre. Nebenbei sollen sie verhindern, dass bei einem Brand Flammen von unten nach oben züngeln.
Bei der Gestaltung der Grundrisse hatten die Mitglieder der Baugemeinschaft viel Spielraum: „Die konnten frei schieben, wie sie wollten“, erklärt Dirk Stenzel. Die Innenwände sind alle aus Gipskarton und lassen sich bei Bedarf wieder verändern. Fenster gab es in drei Größen zur Auswahl, und keines sitzt über dem anderen. „Chaotisch“ nennt der Architekt das von anderen Baugruppenhäusern bekannte Prinzip, aber die waagerechten Fensterreihen halten das Haus hier formal gut zusammen.
Der Clou ist natürlich die runde Ecke des Hauses. Das Grundstück ist an dieser Stelle tatsächlich rund, aber zu DDR-Zeiten wurden hier alle möglichen Leitungen auf Privatland verlegt. Darum musste ein Stück Erdgeschoss ausgespart werden, was zugleich ein Dach vor den beiden Haustüren schafft.
Sehen und gesehen werden
Im spektakulären Salon über dem Eingang gab es zur Leipziger Buchmesse und auch sonst schon gut besuchte Lesungen. Die Akustik im „Bug“ des Gebäudes begünstigt das, die runden Wände reflektieren den Schall fast wie eine Kuppel. Ein Panorama wie in den Wohnungen darüber haben sonst nur Chefbüros. Man fühlt sich fast wie eine Galionsfigur, und das Haus ist bei Tag wie bei Nacht ein echter Hingucker. Gegen zu viel Einblick oder unerwünschte Sonnenstrahlung im Rest des Hauses helfen Schiebeläden aus Aluminium, in die per Laser eine Art Holzmaserung geprägt wurde.
Handwerklich wurde nicht nur die anspruchsvolle Kurve sauber bewältigt: Nachdem der Baugrund drei Meter tief ausgetauscht, Bodenplatte und Treppenturm gegossen waren, ging alles ganz schnell. Eine Zimmerei aus dem nahen Torgau führte Regie, die Brettsperrholztafeln für Wände und Decken lieferte eine Firma aus Österreich – sieben Tieflader brachten die Teile.
Ökologisch und solide
Ruck, zuck war Z8 dann wie ein Kartenhaus zusammengesteckt, nach fünf Wochen auch die Schalung aus Lärchenholz angeschraubt. Das war praktisch, denn die stark befahrene Straße konnte nicht gesperrt werden. Damit der Stadtstaub das Haus nicht gleich alt aussehen lässt, hat man die Bretter gleich von vornherein grau lasiert.
Die Technik im Haus ist solider Ökostandard. Zwei Wärmepumpen speisen Lüftung und Fußbodenheizung, unterstützt von Solarkollektoren. Besonders teuer war Leipzigs erster großer Holzbau übrigens nicht: „Die Kosten sind mit denen eines konventionellen Hauses vergleichbar“, sagt der Architekt.
Obwohl vor dem Haus die Tram fährt, steht hinter dem Haus der Hof voller Autos – bei den geforderten Stellplätzen machte die Stadt leider keine Kompromisse. Doch Dirk Stenzel ist weiter voller Pioniergeist. Er plant in der Stadt derzeit einen Zwölfgeschosser aus Holz und betreut auch wieder eine Baugemeinschaft.
Das Projekt in Stichworten
Projekt: Neubau von vier Wohnungen und einer Gewerbeeinheit
Lage: 04177 Leipzig
Baujahr: 2018
Bauherren: Baugemeinschaft Z8
Architekt: Dirk Stenzel, ASUNA – Atelier für strategische und nachhaltige Architektur, Leipzig
Energieberater: Jörg Geißler, IEBW, Leipzig
Wohnfläche: 624 Quadratmeter
Grundstück: 596 Quadratmeter
Qualitäten für die Bewohner: Zentral gelegene, großzügige Wohn- und Gewerbeeinheit
Qualitäten für die Gesellschaft: Schließung von Baulücken mit identitätsstiftender Architektur
Energiesparen: Zwei Wärmepumpen, Luft/Erdsonden, Solaranlage, Abluftanlagen
Barrierearmut: Weitgehend barrierefrei, insgesamt schwellenarm
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Freitag, 24. Mai 2019
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 7: Nachhaltige und moderne Energie für alle
Knapp 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie stammt immer noch aus fossilen Energieträgern. Aus der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen unter anderem Kosten für das Gesundheitssystem aufgrund der Luftbelastung und Kosten wegen Klimaschäden, die der Allgemeinheit und nicht nur den Verursachern schaden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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