Ein Pastorenpaar baute ein 250 Jahre altes Brandenburger Fachwerkhaus behutsam um und erhält dafür den 1. Preis in der Kategorie Bestand beim KfW Award Bauen 2019. Die private Denkmalpflege verträgt sich bestens mit Wohn- und Energiestandards von heute.
1. Preis: Bauen im Bestand
Lunow, Brandenburg (KfW Bankengruppe/n-tv).
In Lunow ganz im Osten Brandenburgs ist die Geografie ziemlich einfach: Runter zur Oder führt die Fischerstraße, querab in die Wiesen und Felder geht die Bauernstraße. Dort wohnt in einer historischen Bauernkate ein Pastorenpaar. Almut und Thomas Berg haben ein 250 Jahre altes Häuschen für sich umgebaut, mit bescheidenen Mitteln und grandioser Wirkung: Das Erbe eines Vierteljahrtausends bäuerlichen Wohnens ist bewahrt und besser sichtbar als zuvor. Zugleich erfüllt der Bau alle Wünsche an Wohnkomfort und Nachhaltigkeit im 21. Jahrhundert.
Acht Generationen lang, von 1763 bis 2012, lebten in dem Dreiseithof aus Wohnhaus, Scheune und Stall Angehörige derselben Familie – vom Bauherrn Christian Ladewig bis zu seiner 90-jährigen Nachkommin Herta Melcher, die Pastor Thomas Berg zu Grabe trug. Die abgelegene Gegend im Nordosten Brandenburgs war im 18. Jahrhundert nach vielen Kriegen ziemlich entvölkert; Siedlungswillige mussten gelockt werden. Also bekam der erste Ladewig vom Königlichen Amt Neuendorf 25 Hektar Land und zahlreiche Balken von älteren Abbruchhäusern. Wohnstube, Altenteilerstube, Küche und Kammer unten, ein kleiner Dachboden oben – fertig war das Fachwerkhaus. Es gab Kamine und eine Kochstelle mit gigantischer Abzugshaube für den Qualm; das war die Haustechnik.
Eine mutige Entscheidung
Im Lauf der Jahrhunderte, vor allem im vergangenen, kam einiges dazu: partiell Mauerwerk anstelle von Fachwerk, weißer Putz an die Fassade, ein paar breitere Fenster, Kachelöfen, eine Kochmaschine und ein von der Küche abgetrenntes winziges Klo. Aber hinterm Standard unserer Zeit blieb es weit zurück: Bis zu ihrem Tod bekam Herta Melcher warmes Wasser nicht aus der Leitung, sondern vom Kessel auf dem Herd.
Das Pastorenpaar Berg, seit 1990 in Lunow tätig, sah der Rente und damit dem Auszug aus dem Pfarrhaus entgegen. „Das Haus Ladewig kannten wir natürlich lange. Aber erst als ein Maklerschild vor der Tür stand, hat es uns näher interessiert“, erzählt Thomas Berg. Der erste Eindruck war trist, aber sein Mut groß: „Bauen schreckt mich schon lange nicht mehr.“ Er betreut Kirchen, Gemeindehäuser und Kindergärten in fünf Dörfern, die ältesten mehr als 600 Jahre alt. Haussorge war und ist in seinem Amt so alltäglich wie Seelsorge.
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Uriges Fachwerk
Das Haus prägt das Bild der Bauernstraße in Lunow.
Mit Leidenschaft für Nachhaltigkeit
Thomas Berg weiß: „Denkmalgerechtes und ressourcenschonendes Bauen liegen nahe beieinander.“ Nach dieser Devise gingen die beiden respektvoll und feinfühlig mit dem Altbau um. Sie ersetzten nachträglich eingefügte Mauerstücke durch neues Fachwerk in alter Technik, teilten die Fenster wieder nach historischem Maß auf und setzten hinter die Sprossenfenster solche mit Isolierglas. Natürlich bekamen alle Fenster Holzrahmen anstelle des Kunststoffs der Nachwende-Modelle. Sie freuten sich, dass alle Innentüren bis auf eine noch verwendbar waren – einschließlich der uralten Messing-Beschläge.
Im Erdgeschoss ihres künftigen Heims waren die meisten schon 1763 recycelten Fachwerkbalken noch solide, mit einer makabren Ausnahme: 1945 hatte ihn eine sowjetische Granate getroffen. Der Balken war innen zersplittert, aber irgendwie hielt er danach noch fast 70 Jahre. Von einem Abbruchhaus besorgten die Bergs 200 Jahre alte Biberschwanzziegel und ließen sie von einem Spezialisten bei sich auftragen – vermauert, nicht wie heute üblich verschraubt oder verklemmt. Da brauchten wir einen Dachdecker, der Spaß an sowas hatte.“ Auch den Zimmermann trieb die Leidenschaft mindestens so sehr wie der Lohn. Wichtig für die Bergs: „Alle Handwerker sind aus der Gegend, auch Lehmbauer, Maurer und Elektriker. Die Betriebe sind höchstens 20 Kilometer von hier.“
Die vorher nur 17 Zentimeter dünnen Außenwände sind verstärkt und unterschiedlich gedämmt – aber nie mit Schaumstoff, sondern mit Hanf, Stroh, Lehm, Zellulosefaser und Glasschotter. Auch Bauschaum ist grundsätzlich tabu; Kunststoffe gibt es überhaupt nur an Kabeln und in Verbundrohren. Diskret unterm neuen Lehmputz liegt die Wandheizung, gespeist von einer Gas-Brennwerttherme oder solar erwärmtem Wasser. Holz für die Bodendielen fand sich in der Scheune; einziger größerer Import sind die spanischen Bodenfliesen. Über die sehr niedrigen Türschwellen können auch Menschen mit Rollator gehen – „wir werden ja älter, und man könnte die Schwellen sogar ganz rausschneiden.“Ganz neu sind natürlich die Haustechnik und alles Sanitäre. Und der Ausbau des Dachbodens zur kleinen Gästewohnung mit eigenem Mini-Bad.
„Denkmalgerechtes und ressourcenschonendes Bauen liegen nahe beieinander.“
Wichtige Teile des Energiesystems sind draußen: 40 Quadratmeter Solarkollektoren auf der Weide hinter der Scheune; in dieser ein 4.000-Liter-Speicher für solar erwärmtes Wasser. „Rechnerisch gewinnen wir hier 50 Prozent unserer Heizenergie.“ Auch ihr Elektroauto laden die Bergs in der Scheune. Der Energiestandard des Wohnbaus ist für ein uraltes Häuschen sensationell: Er übertrifft den heute vorgeschriebenen für Neubauten. Rund ums hochmoderne Energie-Equipment wuseln Schafe und Hühner, daneben blühen Apfel-, Kirsch-, Birn- und Pflaumenbäume. Denn so modern die Bergs technisch wohnen, so sehr halten sie es mit der Wirtschaftstradition ihrer acht Generationen Vorbesitzer: Was man vom eigenen Land gewinnen kann, das erzeugt man dort auch.
Das Projekt in Stichworten
Projekt: Modernisierung und zugleich historische Rückführung eines 250 Jahre alten Bauernhauses
Lage: Lunow-Stolzenhagen, Brandenburg
Baujahr: ca. 1770, Modernisierung ab 2015
Bauherren: Almut und Thomas Berg
Architekt: Stefan Broniecki, Berlin
Energieberaterin: Diana Hasler
Fläche: Grundstück 550 m², Wohnfläche 148 m²
Grundstück: 4.447 Quadratmeter Wohn- und Gewerbefläche
Qualitäten für
die Bewohner: Komfortables Wohnen im atmosphärischen Altbau
Qualitäten für die Gesellschaft: Bewahrung des Denkmals und Stärkung seines Charakters, Belebung des Dorfs, hohe energetische Qualität
Energiesparen: Natürliche Dämm-Materialien, Solarkollektoren, Wasserspeicher
Barrierearmut: Aufzüge, Vermeidung von Schwellen, barrierearme Türen und Sanitärbereiche
KfW-Standard: Effizienzhaus 100
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Freitag, 24. Mai 2019
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 7: Nachhaltige und moderne Energie für alle
Knapp 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie stammt immer noch aus fossilen Energieträgern. Aus der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen unter anderem Kosten für das Gesundheitssystem aufgrund der Luftbelastung und Kosten wegen Klimaschäden, die der Allgemeinheit und nicht nur den Verursachern schaden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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