Die Villa im Simmertal mit Baugerüst
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Prinzessin im Steinkleid

Jahrelang konnte eine Gründerzeitvilla in Rheinland-Pfalz nicht saniert werden. Dann kamen die Labutins. Die Familie aus Moskau wagt sich an die große Aufgabe und saniert das Juwel im Simmertal. Damit verhilft sie auch der benachbarten Traditionsgießerei zum Aufschwung.

Hans Peter Kissling
Der Vorbesitzer

Hans Peter Kissling ist in der Gründerzeitvilla aufgewachsen und betreibt bis heute benachbarte Gießerei.

Aus Hans Peter Kisslings Leben ist der Simmerhammer nicht wegzudenken: eine historische Hammerschmiede und Gießerei auf einem parkähnlichen Gelände mit einer einst prachtvollen Villa, Kisslings Elternhaus. Hier wächst er auf, geht in der Familiengießerei in die Lehre als Gussformer, studiert und wird schließlich Unternehmenschef mit 20 Angestellten.

Der Simmerbach, der hier im Unterlauf Kellenbach heißt, bis er in die Nahe mündet, fließt nur einen Steinwurf entfernt. Die idyllische Lage wird zum Verhängnis, als im Winter 1995 ein verheerendes Hochwasser das Gelände überflutet und sowohl in der Gießerei als auch in der Gründerzeitvilla schwere Schäden anrichtet. Kissling muss sich entscheiden: entweder die Villa sanieren oder den Betrieb erhalten. Schweren Herzens wählt er die Gießerei und bietet sein Elternhaus zum Kauf an. Der Simmerhammer geht durch mehrere Hände, wird zwangsversteigert – und verfällt. Bis die Familie Labutin aus Moskau 2014 den Kaufvertrag unterschreibt.

Das Ehepaar Labutin
Liebe auf den ersten Blick

Das russische Ehepaar Ilya und Tatjana Labutin saniert die Villa im Simmertal. Sie soll ihr neues Zuhause werden.

Im selben Jahr ist Ilya Labutin als sogenannter „qualifizierter Einwanderer“ nach Frankfurt am Main übergesiedelt. Er arbeitet als Projektmanager in einer Baufirma. Mit seiner Frau Tatjana möchte er für die Familie, zu der die Kinder Slawa und Polina gehören, ein neues Zuhause finden. Sie bringen aus Russland Interesse an europäischer Geschichte mit – und viel Sinn für Romantik: „Ich suchte etwas aus dem Ende des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Am liebsten im Jugendstil, die Gründerzeit war für uns aber auch interessant“, sagt Ilya Labutin. Irgendwann wird er auf eine Anzeige im Internet aufmerksam. Überschrift: „Ein Haus steht im Wald“. Eine geschönte Darstellung des tatsächlichen Zustands – die Villa im rheinland-pfälzischen Simmertal ist zu dem Zeitpunkt vollkommen zugewachsen.

Doch sie strahlt etwas Geheimnisvolles aus. „Ich habe mich spontan verliebt! Stadtvillen haben in der Regel eine Schauseite zur Straße hin. Diese hier ist ein Solitär und daher von allen vier Seiten schön.“ Labutin beschließt, zu vollziehen, woran viele andere vor ihm gescheitert sind: die Villa zu sanieren und irgendwann aus dem gut 100 Kilometer entfernten Frankfurt nach Simmertal zu ziehen.

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Das Vorhaben ist enorm: Da wegen des offenen Dachs ein Großteil der Innenausbauten verrottete, mussten als Erstes mehr als 100 Kubikmeter Schutt und Holzreste aus der Villa entfernt werden. Als respektabler Berg liegen sie nun im Garten. Den 44-jährigen Labutin scheint er nicht abzuschrecken: „Die Augen haben Angst, aber die Hände arbeiten.“

Noch verwertbares Holz sägt Ilya Labutin klein und stapelt es als Brennholz. Baumaterial wie Türflügel, Fensterläden oder Stuckreste sammelt er in der Scheune. Je nach Erhaltungszustand sollen die einzelnen Teile restauriert oder als Vorlage für Rekonstruktionen verwendet werden. „Die Villa war übrigens nie verputzt, sondern hatte immer ein Steinkleid“, sagt Labutin, der inzwischen so gut Deutsch spricht, dass er mit dem Bauleiter kompetent über die Sanierungsbelange reden kann.

Labutin hält ein geschmiedetes Zierelement in der Hand und zeigt es Kissling
Sanierung mit Sachverstand

Auch Kissling profitiert von der Erneuerung seines Elternhauses: Er hat sich von Labutins Leidenschaft anstecken lassen und saniert die gusseisernen Balkongeländer der Villa.

Auch auf die strengen deutschen Denkmalschutzregeln hat sich der Russe eingelassen und dabei von der KfW gehört, die mit ihrem Programm „Energieeffizient sanieren“ auch Baudenkmäler oder Gebäude mit besonders erhaltenswerter Bausubstanz fördert. In diesem Programm vergibt die KfW Zuschüsse an Eigentümer von Baudenkmälern, ein Kredit muss dabei nicht beantragt werden. Von diesem Angebot machte Labutin Gebrauch: Das Geld hat unter anderem geholfen, das Dach samt Dachstuhl wiederaufzubauen.

Dass sein Elternhaus nun fachgerecht saniert wird, lässt auch Hans Peter Kisslings Herz höherschlagen. Er betreibt weiterhin die Familiengießerei auf dem denkmalgeschützten Simmerhammer-Gelände und verfolgt die Arbeiten an der Villa. Mit ihren Träumen und ihrer unerschöpflichen Energie haben die Labutins auch den 70-Jährigen angesteckt. Anfangs skeptisch, saniert er jetzt liebevoll die gusseisernen Balkongeländer der Villa und schmiedet Zukunftspläne. Er erhält sogar wieder Spezialaufträge für Eisenguss, nachdem er seine Produktion infolge der Hochwasserschäden auf Erzeugnisse aus Alu, Messing und Bronze hatte umstellen müssen.

Tatjana Labutin im Garten der Villa
Ein Park im Werden

Tatjana Labutin weiß genau, wie sie den parkähnlichen Garten anlegen will. Schon jetzt beginnt sie mit den ersten Pflanzungen.

Von Deutschland sind die Labutins begeistert: „In Russland wäre es gar nicht möglich gewesen, die Baustelle unbeaufsichtigt zu lassen, die Baumaterialien wären längst geklaut“, sagt Labutin. „Hier machen die Bauarbeiter fleißig weiter und es kommt nichts weg.“ Zwar liegt der Einzugstermin noch in weiter Ferne, aber die Familie hat die Zimmer schon aufgeteilt – und dabei auch hellsichtigen Rat befolgt.

Eine Besucherin spürte die Präsenz eines Geistes im oberen Stock der Villa und machte die neuen Eigentümer darauf aufmerksam. Und als Hans Peter Kissling bestätigte, dass schon seine Großmutter – eine sensible und naturverbundene Frau – sehr unruhig in dem Zimmer schlief, weil sie das Gefühl hatte, dort nicht allein zu sein, haben Tatjana und Ilya Labutin vorsorglich einen der anderen Räume für ihr Schlafzimmer gewählt. „Das Gebäude sagt einem, was man machen kann. Die hohen Räume inspirieren und laden zum Träumen ein.“ Zum Beispiel könnte man aus der Scheune irgendwann ein Restaurant machen. Oder lieber gleich einen Jazzclub? Labutin, der in Moskau in einer Band Saxofon spielte, hat viele Ideen. Seine Frau Tatjana designt derweil den Park um – erst mal mit einem Computerprogramm.

Dass der Simmerhammer saniert wird, hat sich über die Grenzen von Simmertal hinaus herumgesprochen. Das öffentliche Interesse ist groß: Die ganze Region verfolgt gespannt, wie die Villa aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt und wieder in das Schmuckstück von einst verwandelt wird. Die Lokalzeitungen und der SWR waren da, um über Kissling und die neuen Besitzer zu berichten. Und die Labutins haben schon einen Tag der offenen Tür veranstaltet und den Bürgern von Simmertal die Baupläne gezeigt. Bei den Simmertalern kam das sehr gut an. Auch der Bürgermeister Werner Speh freut sich, dass die Villa nun einen tatkräftigen Besitzer gefunden hat. „Wir heißen die Familie Labutin in Simmertal herzlich willkommen.“

Auch Kissling empfängt in diesen Tagen viele an der Heimatgeschichte interessierte Besucher. Schließlich verwaltet sein Betrieb mehr als 2.500 Gussmodelle, darunter Geländer, Brunnenausläufe, Kamin- und Ofenplatten und natürlich auch Formen der Metallelemente, die früher einmal die Villa verziert haben. Eine Rosette von Kisslings ehemaligem Kinderzimmerbalkon schmückt nun den Außenaufgang des sanierten Gästehauses: ein Symbol, das Geschichte und Gegenwart des Simmerhammers verbindet.

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Montag, 12. November 2018