Während der Coronapandemie müssten die Schulen in Deutschland auf digitalen Unterricht umsteigen. Dieser Prozess hatte anfangs viele Tücken. In den Smart Cities Ulm und Jena hat man sich rasch auf einen erfolgreichen Weg begeben.
Das Virtuelle soll so echt wie möglich sein an der Ulrich-von-Ensingen-Schule in Ulm. Deshalb haben die Klassenzimmer im Unterrichtstool dieselben Nummern wie in der realen Schule. Und manchmal unterrichtet sogar eine Lehrkraft aus einem Schulraum die coronabedingt zu Hause sitzenden Schülerinnen und Schüler. Sie „bekommen einen Stundenplan auf ihr Endgerät“, sagt Matthias Weber, und betreten mit einem Klick auf den Link ihr „richtiges“ Klassenzimmer.
Weber leitet die zweizügige Gemeinschaftsschule mit den Klassen 5 bis 10. Sie bedient sich für den Fernunterricht des Tools „UlmLernt“, das auf dem Videokonferenzsystem BigBlueButton aufbaut. „UlmLernt“ ist eine Eigenentwicklung der Kommune. Das Tool ist einfach gehalten. Daten kann man zum Beispiel damit nicht hochladen und bearbeiten. Aber „weil es so einfach ist, nutzen es auch Lehrerinnen und Lehrer, die nicht so eine große Digitalaffinität haben“, sagt Christina Baumgartl, Leiterin Sachgebiet IT an Schulen in der Abteilung Bildung und Sport der Stadtverwaltung.
Investitionen in eine digitale Zukunft
Bis zu 2500 Menschen nutzen im zweiten Lockdown vormittags gleichzeitig das Konferenztool. Die Stadt, Träger von 50 Schulen, entwickelte „UlmLernt“ bereits zu Beginn des ersten Lockdowns in Zusammenarbeit mit der Digitalen Agenda. „Ohne sie hätte es nicht so schnell geklappt“, berichtet Sebastian Fischer, Sachbearbeiter für IT-Lösungen in der Abteilung Bildung und Sport. Die Geschäftsstelle Digitale Agenda, Anfang 2018 ins Leben gerufen und nach wie vor bei „UlmLernt“ im Boot, managt auch den Smart-City-Prozess. Ulm gehört seit 2019 zu den vom Bundesministerium des Innern und Heimat (BMI) und der KfW geförderten Modellprojekten Smart Cities, für die insgesamt 820 Millionen Euro zur Verfügung stehen. „Wir unterstützen digitale Projekte, die helfen, Wege aus der Krise zu finden, und von denen andere Kommunen lernen können“, sagt Kay Pöhler, Produktmanager kommunale Infrastruktur in der KfW.
Im Lockdown: Verwaistes Klassenzimmer in der Ulmer Ulrich-von-Ensingen-Schule.
Die Stadt Ulm investiere bereits seit zehn Jahren in digitale Infrastruktur und Hardware für Schüler- und Lehrerschaft, sagt Oberbürgermeister Gunter Czisch: „Und im Rahmen des Digitalpakts Schule treiben wir dieses Vorhaben seit 2019 mit großer Vehemenz voran.“
Digitale Teilhabe für alle
An der Ulrich-von-Ensingen-Schule besitzen inzwischen alle 34 Lehrerinnen und Lehrer ein dienstliches Endgerät, alle Klassenzimmer verfügen über Kamera und Mikrofon, in fünf Klassenzimmern steht zudem ein Digitalboard. Auch die meisten der 300 Schülerinnen und Schüler verfügen über mobile Endgeräte, dank der Stadt, die Tablets und Laptops verleiht, und eines Unternehmens, das gebrauchte Laptops spendete. Kinder aus sozial schwachen Familien, die nur Handys besitzen oder deren Datenverträge für mehrstündigen Fernunterricht nicht ausreichen, können von der Schule aus am Online-Unterricht teilnehmen und werden dort betreut.
„Wir müssen allen Menschen die digitale Teilhabe ermöglichen“, sagt auch Stefanie Teichmann, Mitarbeiterin Bildungsmanagement im Team Integrierte Sozialplanung der Stadt Jena. Peter Jerie, Leiter des Medienzentrums der Kommune, benennt die hardwareseitigen Probleme des Fernunterrichts: Haushalte ohne WLAN, Familien, in denen das einzige mobile Endgerät fürs Homeoffice gebraucht wird, Lehrkräfte mit veralteten Endgeräten.
Die Stadt hat im zweiten Lockdown stark nachgerüstet. 1300 Endgeräte wurden angeschafft und verteilt. Jeries Abteilung, kommunaler Dienstleister für die 27 städtischen Schulen, wurde in der Pandemie von drei auf acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestockt.
Höhere Akzeptanz für smarte Lösungen
Eine Umfrage im Mai 2020 unter Jenaer Eltern ergab: 57 Prozent wünschen, dass digitale Bildungsangebote im normalen Schulalltag eine größere Rolle spielen. Die hohe Akzeptanz digitaler Bildung hat vermutlich auch damit zu tun, dass „wir laut Statistischem Bundesamt die dritthöchste Akademikerdichte unter Deutschlands Städten haben“, wie Manuela Meyer, Chief Digital Officer der Stadt, sagt. Seit 2014 schon gibt es das Netzwerk Witelo e.V. (wissenschaftlich-technische Lernorte in Jena), über das Bildungsinstitutionen und Firmen vorzugsweise Kurse in den MINT-Fächern anbieten. „Sie sind immer ausgebucht“, sagt Meyer, die das von BMI und KfW geförderte Smart-City-Projekt Jenas betreut. Die boomende Universitätsstadt hat die sogenannte WISSENsAllmende zum „Rückgrat dieses Projektes“ (Meyer) gemacht, eine kommunale Plattform, in die private und öffentliche Player Daten zum Nutzen der Bürger einspeisen.
Während des zweiten Lockdowns sei die Akzeptanz smarter Lösungen gerade auch unter Lehrkräften stark gestiegen, da sind sich die Gesprächspartnerinnen und -partner in Ulm und Jena einig. Digitale Bildung wird auch nach Ende des Lockdowns im Schulunterricht ihren Platz behalten. Weber würde gern mit Eltern auch zusätzlich über eine App kommunizieren und meint, Teilzeitlehrer könnten sich künftig zu Konferenzen des Kollegiums auch einfach per Video zuschalten. Bei allen positiven Möglichkeiten virtueller Prozesse betont Weber aber auch: „Wir brauchen wieder den persönlichen Kontakt.“
Den vermisst auch Siri Eichhorn, acht Jahre alte Schülerin der Jörg-Syrlin-Schule in Ulm. Während des zweiten Lockdowns hat sie, zu Hause von ihrem Großvater Reinhold Eichhorn betreut, dreimal pro Woche jeweils eineinhalb Stunden Fernunterricht am Tablet gehabt. Arbeitsblätter wurden montags geholt und freitags abgegeben.
„Siri geht wie selbstverständlich mit einer Plattform wie ‚UlmLernt‘ um“, beobachtet der ehemalige Berufsschullehrer Eichhorn. Das Urteil des 72-Jährigen über digitale Lehrstunden: „Es hat alles wunderbar geklappt.“ Und doch: „Meine Enkelin“, sagt er, „wäre liebend gern wieder in der Schule.“
Auf KfW Stories veröffentlicht am 24. Februar 2021, aktualisiert am 22. Juli 2023.
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