Illustration zum Demografischen Wandel
Demografischer Wandel

Demografischer Wandel

Deutschland in der Demografiefalle

Die Einwohnerzahl in Deutschland schrumpft und gleichzeitig altert die Gesellschaft. Schon heute ist das Durchschnittsalter in Deutschland so hoch wie nirgendwo sonst in Europa, und der Anteil der Rentner und Pensionäre wird weiter wachsen. Welche Auswirkungen hat der Demografische Wandel auf die Arbeitswelt, auf Investitionen, Innovationen und Bildung? Vier Ökonomen der KfW sagen, worauf es jetzt ankommt.

Dr. Vera Schubert
These 1: „Wir müssen mehr Menschen für den Arbeitsmarkt gewinnen”

Dr. Vera Schubert, KfW Research, Spezialgebiete: Makroökonomie, Weltwirtschaft

Deutschland zählte 2013 rund 42 Millionen Erwerbstätige – ein historisches Hoch. Darüber dürfen wir uns freuen, uns muss aber auch klar sein, dass das nur eine Momentaufnahme ist, denn die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird bis 2030 um knapp fünf Millionen sinken. Das sind im Durchschnitt fast 300.000 Personen pro Jahr. Die Gesamtbevölkerung hingegen schrumpft im gleichen Zeitraum nur um drei Millionen. Immer weniger Menschen müssen also den Wohlstand für unser Land erwirtschaften, vor allem in den 2020er Jahren, wenn die Babyboomer in Rente gehen.

Illustration zum demografischen Wandel in Bezug auf die Arbeitswelt

Wir brauchen deshalb einen leistungsfähigen Arbeitsmarkt, der möglichst viele der Menschen, die arbeiten können, tatsächlich in produktive Arbeit bringt. Eine Partizipationsquote von 74 Prozent – in Skandinavien bereits Realität – ist ein realistisches Ziel. Seit 1995 ist die deutsche Partizipationsquote von 65 auf 70 Prozent gestiegen, vor allem weil mehr Frauen arbeiten. Daran müssen wir anknüpfen, etwa indem wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern und beim Steuersplitting mehr Anreize für eine Erwerbsbeteiligung von Ehepartnern und Eltern setzen.

Die Arbeitslosenquote haben wir seit 2005 erfolgreich gesenkt; weitere Rückgänge sind notwendig und machbar. Darüber hinaus ist qualifizierte Zuwanderung erforderlich. Die Öffnung für osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten sowie die Blaue Karte für Nicht-EU-Ausländer gehen in die richtige Richtung. Des Weiteren müssen ausländische Abschlüsse schneller anerkannt und Zuwanderer besser integriert werden.

Dr. Klaus Borger
These 2: „Wir brauchen eine höhere Investitionsquote”

Dr. Klaus Borger, KfW Research, Spezialgebiete: Makroökonomie, Deutschland, Konjunktur

Bei einer schrumpfenden Anzahl von Arbeitskräften können wir unseren Wohlstand nur halten, wenn sich die Produktivität der verbleibenden Erwerbstätigen erhöht. Dazu brauchen sie moderne Maschinen am Arbeitsplatz und eine leistungsfähige Infrastruktur wie staufreie Straßen und Datenautobahnen – eine Herkulesaufgabe, denn seit der Jahrtausendwende investiert Deutschland immer weniger. Die Investitionen der Firmen fielen 2013 auf das historische Tief von zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Die staatlichen Investitionen lagen zuletzt bei 1,6 Prozent; sie sind bereits seit 2003 geringer als die Abschreibungen. Im Klartext: Die öffentliche Infrastruktur fährt seit mehr als zehn Jahren auf Verschleiß.

Demografischer Wandel bedingt höhere Investitionen vom Staat - Illustration

Wir sind uns mit der Regierung einig, dass sich das ändern muss. Im Koalitionsvertrag wird eine Investitionsquote oberhalb des OECD-Durchschnitts als Ziel genannt; seit der Jahrtausendwende liegt Deutschland mehr als drei Prozentpunkte darunter. Wir sollten mittelfristig eine Quote zwischen 22 und 23 Prozent anstreben, wie es zuletzt Anfang der 1990er-­Jahre gelang.

Energiewende, Ausbau konkurrenzfähiger Wertschöpfungsketten, Verbesserung der Infrastruktur, Ausbau von Betreuung und Bildung sowie altersgerechter Umbau von Wohnungen – es gibt genügend Investitionsanlässe für Private und den Staat, vergleichbar mit den Herausforderungen der Wiedervereinigung. Allein der Staat sollte rund drei Prozent der Wirtschaftsleistung investieren – in Ländern wie den Niederlanden, Frankreich oder Kanada seit langem die Regel.

Dr. Volker Zimmermann
These 3: „Wir müssen den technischen Fortschritt beschleunigen.”

Dr. Volker Zimmermann, KfW Research, Spezialgebiete: Innovation, Mittelstandsfinanzierung

Deutschland muss verloren gegangenes Terrain in Forschung und Entwicklung (FuE) wieder gutmachen. Viele Industrie- und Schwellenländer verfolgen dabei sehr ambitionierte Ziele. Damit wir mithalten können, muss der technische Fortschritt hierzulande beschleunigt werden. Das gelingt nur mit einer weiteren Steigerung der FuE-Ausgaben. Auf dem Erreichen der im Lissabon-Prozess festgelegten Zielmarke von drei Prozent FuE-Ausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt dürfen wir uns nicht ausruhen!

Illustration zum demografischen Wandel und der Relevanz von Innovationen

Darüber hinaus müssen wir uns breiter aufstellen. Die FuE-Ausgaben der deutschen Wirtschaft konzentrieren sich mit 54 Prozent deutlich stärker als in anderen Ländern auf hochwertige Technik wie Automobilbau, Maschinenbau und Chemieindustrie. Wir waren mit dieser Strategie bislang sehr erfolgreich: Dank der hohen FuE-Anstrengungen sind wir Marktführer auf diesen international umkämpften Märkten geworden. Um langfristig einer drohenden Kompetenzfalle zu entgehen, sind jedoch zusätzliche Anstrengungen in den besonders wachstumsstarken Spitzentechnologien – wie Nachrichtentechnik und Pharmazeutika – dringend notwendig.

Zur Etablierung neuer Technologiebranchen müssen wir zudem den Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und den Unternehmen stärken. Mittelständische Unternehmen, die einen wesentlichen Bestandteil des deutschen Innovationssystems bilden, nutzen die Quelle ›Wissenschaft‹ noch zu selten. Ihre Innovationskraft wird darüber hinaus von Hemmnissen wie Finanzierungsproblemen, Bürokratie oder drohendem Fachpersonalmangel gebremst. Das muss sich ändern.

Dr. Elke Lüdemann
These 4: „Wir brauchen bessere Bildung von klein auf.”

Dr. Elke Lüdemann, KfW Research, Spezialgebiete: Bildung, Demografie

Illustration demografischer Wandel in Bezug auf Bildung

Voraussetzung für Forschung und Entwicklung auf Spitzenniveau sind gut ausgebildete Wissenschaftler und Ingenieure. Um Marktchancen zu erkennen, Innovationen in Unternehmen umzusetzen und die technologischen Möglichkeiten optimal zu nutzen, brauchen wir fähige Manager sowie eine breite Basis an qualifizierten Fachkräften. Wir müssen also auf allen Ebenen weiter gezielt in Bildung investieren.

Trotz einer steigenden Bildungsbeteiligung in den vergangenen Jahren geben einige Indikatoren Anlass zur Besorgnis: Im Jahr 2014 verfügt knapp ein Viertel der 25- bis 30-Jährigen nicht einmal über einen beruflichen Abschluss, und beinahe ein Fünftel der 15-Jährigen kann nicht auf Grundschulniveau rechnen.

KfW Research

Trotz hoher Zuwanderung riskiert Deutschland in der Demografiefalle stecken zu bleiben. Perspektiven und Gegenmaßnahmen analysiert KfW Research:

Zur Studie

Immer noch sind es vor allem Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern, die im deutschen Bildungssystem hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Hier müssen wir handeln. Um ein höheres Bildungsniveau und mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen zu erreichen, muss der Staat nicht unbedingt mehr, sondern anders investieren.

Frühkindliche Bildung sollte höchste Priorität haben. Sie legt den Grundstein für den nachfolgenden Bildungsweg. Eine hohe Qualität vorausgesetzt, profitieren insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien von frühkindlicher Förderung. Der deutsche Staat sollte daher den frühkindlichen Bereich stärker subventionieren als die Hochschulbildung, wobei ein ausreichendes Angebot an Studienkrediten und Stipendien natürlich unerlässlich ist.

Quelle
Cover CHANCEN Alter

Dieser Artikel ist erschienen in CHANCEN Frühjahr/Sommer 2014 „Alter“.

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Da die Erwerbstätigen immer älter werden und die Qualifikationsanforderungen der modernen Arbeitswelt sich stetig ändern, wird auch das lebenslange Lernen immer wichtiger. Hier sind vor allem die Unternehmen gefragt!

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 21. März 2017