In der Flüchtlingskrise sind vor allem Kommunen gefordert, Antworten auf alltägliche Fragen zu geben und Brücken für Neuankömmlinge zu bauen. Die KfW unterstützt Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen – im In- und im Ausland. Ein Beispiel aus Mühlacker, wo die Familie von Anas Khattab eine Zuflucht fand.
Das zweite Leben begann, als Anas Khattab aus dem syrischen Aleppo beschloss, sich mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in ein Schlauchboot zu setzen. Als er um die Schwimmwesten feilschte und – als keine mehr da waren – einen Schwimmring kaufte, um ihn seinem fünfjährigen Sohn Fateh überzuziehen. Als er die Schlepper dafür bezahlte, dass sie auf die vierstündige Überfahrt von der Mittelmeerküste der Türkei auf die griechische Insel Samos nur sieben Flüchtlinge mitnähmen statt 20. Als ihm klar wurde, dass er das Leben seiner Familie riskieren musste, um es zu retten. „Im Boot hatte ich das Gefühl, dass meine Erinnerungen sich auflösen“, sagt der 40-Jährige. „Und dass ein neues Leben beginnt.“
Dabei war das erste Leben gut zu Anas Khattab gewesen. Er exportierte Bekleidung und hatte nach 25 Jahren im Geschäft genug Geld gespart, um sorgenfrei in die Zukunft blicken zu können. Vielleicht deshalb hat er vier Jahre in Aleppo ausgeharrt, obwohl der Bürgerkrieg die Häuser der Stadt um ihn herum in Ruinen verwandelte. „Wir dachten, irgendwann muss es doch vorbei sein“, sagt Khattab.
Viele andere hatten ihren Glauben bereits verloren: Nach und nach wanderten Khattabs Freunde und Verwandten aus, die Lebensmittel wurden knapp, der Lärm der Gewehrsalven und Explosionen unerträglich. Erst aber, als eine Bombe das Haus gegenüber traf, kam die Angst – und mit ihr das erdrückende Gefühl, sein Leben nicht mehr selbst bestimmen zu können. „Es hätte einfach jederzeit vorbei sein können.“
Anas Khattab beschloss, sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen – und damit ihrem Leben eine ganz neue Richtung zu geben. Nach 30 Tagen Überfahrten, Autofahrten, Zugfahrten und Fußmärschen durch Süd- und Osteuropa sind die vier Syrer im Sommer 2015 in Deutschland angekommen.
Im Herbst saß Anas Khattab in einem kleinen Zimmer im früheren Ärztehaus der Stadt Mühlacker im baden-württembergischen Enzkreis, aß mexikanische Burritos von Knorr, die seine Frau Noor Azizah in der Gemeinschaftsküche aufgewärmt hatte, und schaute sich die Fotos vom Schlauchboot auf seinem Handy an. Das Ärztehaus haben die Behörden in eine Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Von seinem Fenster aus blickte der Syrer auf hügelige Landschaften, Spitzen der Dorfkirchen und rote Dächer der Einfamilienhäuser. Seine Knie schmerzten noch, weil er seine Kinder über lange Strecken hatte tragen müssen. Gleichzeitig war er erleichtert. „Ich war froh, dass der Albtraum vorbei ist.“ Und er war entschlossen, hier neu zu starten.
Im Enzkreis lebten zu dem Zeitpunkt bereits 1.600 Flüchtlinge und täglich wurden es mehr. „Seit September kamen wöchentlich 100 Menschen neu dazu“, sagt Susanne Lechens von „Miteinander leben“. Die Hilfsorganisation fördert im Auftrag des Landratsamts die Integration von Asylbewerbern im Enzkreis – und kümmerte sich auch um die 50 Bewohner des ehemaligen Ärztehauses in Mühlacker. Um den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu bieten, hat der Enzkreis mehr als 50 Unterkünfte geschaffen, in kleinen Wohnungen und vorläufig auch in Industriehallen. Zusätzlich investierte der Landkreis mehr als sechs Millionen Euro in neue Unterkünfte.
Diese Vorhaben wurden aus dem Sonderkreditprogramm für Flüchtlingsunterkünfte finanziert, das die KfW im September 2015 ins Leben gerufen hat. Dreimal sind die Mittel aufgestockt worden, zuletzt auf 1,5 Milliarden Euro. Um die Kommunen zu entlasten, verlangte die KfW für diese Kredite keine Zinsen. „Über die Laufzeit sparen wir so 400.000 Euro“, sagt Finanzdezernent Frank Stephan – das ist viel Geld für einen mittelgroßen Landkreis mit etwa 190.000 Einwohnern und 200 Millionen Euro Haushaltsvolumen.
„Über die Laufzeit sparen wir 400.000 Euro.“
Der Neubau in der Gemeinde Illingen, einer Nachbarkommune von Mühlacker, bietet Platz für 70 Menschen. Für weitere 250 Menschen wurden Wohncontainer aufgestellt. „Es ging darum, dass möglichst schnell möglichst viele Flüchtlinge untergebracht werden“, erklärt der KfW-Abteilungsdirektor für das Produktmanagement Infrastruktur, Peter Hofmann.
Deshalb finanzierte die KfW Wohncontainer sowie die Sanierung und Ausstattung bestehender Gebäude, aber auch den Neubau von Übergangswohnheimen, in denen Asylbewerber leben können. Menschen wie Anas Khattab und seine Familie.
Mit seinem Wunsch, hierzulande dauerhaft ein Leben aufzubauen, ist der Syrer eher eine Ausnahme. So hat die Organisation „Adopt a Revolution“ unter Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) in fünf deutschen Städten vor Registrierungsstellen und Erstaufnahmeeinrichtungen knapp 900 syrische Flüchtlinge befragt und herausgefunden, dass nur acht Prozent dauerhaft hier bleiben wollen.
Viele machen sich erst gar nicht auf den Weg nach Europa. „Im Libanon machen syrische Flüchtlinge mittlerweile ein Drittel der Bevölkerung aus, in Jordanien sind es noch mehr“, sagt Babette Stein von Kamienski, die im Geschäftsbereich KfW Entwicklungsbank Projekte in der Region Nahost betreute. „Wir haben gelernt, dass nicht nur Flüchtlinge Hilfe brauchen. Auch die Gemeinden brauchen Unterstützung, weil sie sehr belastet sind: Die Schulen müssen in Schichten unterrichten, der Wohnraum ist knapp.“
Deshalb finanziert die KfW zum Beispiel mit 30 Millionen Euro den Aufbau von Wasserversorgungssystemen in Jordanien. „Die Dörfer, die Flüchtlinge aufgenommen haben, verbrauchen mehr Wasser und produzieren mehr Abwasser“, so Stein von Kamienski. Dabei ist Jordanien eines der wasserärmsten Länder der Welt.
Den Libanon unterstützte die Entwicklungsbank mit 40 Millionen Euro, damit die Kinder aus Syrien eingeschult werden können. Insgesamt investiert die KfW rund 1,65 Milliarden Euro in Flüchtlingsprojekte im Ausland – von Südsudan bis Afghanistan.
Anas Khattabs ältester Sohn Farouk durfte bereits wenige Wochen nach der Ankunft in Deutschland die Grundschule in Mühlacker besuchen. Sein Vater begleitete ihn jeden Morgen. „Er ist der Erste von uns, der Deutsch lernte“, sagt Khattab mit Stolz.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Montag, 11. September 2017
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 10: Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
In vielen Ländern Asiens und Lateinamerikas haben zwischen 2007 und 2012 die Einkommen der unteren Einkommensgruppen stärker zugenommen als die der oberen. Ein gutes Zeichen, um die Ungleichheit auf der Welt zu verringern. Denn geringere Ungleichheit ist eine wichtige Voraussetzung, um die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Potenziale der Menschen nutzen zu können. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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