In den Werkstätten der Schlocker-Stiftung in Hattersheim arbeiten 450 Menschen mit Behinderungen. Mit Unterstützung der KfW Stiftung kultiviert die Gärtnerei im Rhein-Main-Gebiet heimische Wildkräuter und Stauden. Die mehr als 120 Pflanzenarten können nicht nur Gärten schmücken und Insekten beim Überleben helfen: Manche gelangen in schmackhafter Zubereitung auf den Tisch, auch im Casino der KfW.
Wild, lecker und nützlich
Einblicke in die Wildkräutergärtnerei auf dem Schlockerhof in Hattersheim. (KfW Bankengruppe/EVIM Schlockerhof Gärtnerei)
Es gibt Rezepte, da läuft einem schon beim Lesen das Wasser im Mund zusammen. Bei „Löwenzahn-Käsekuchen“ denkt man sofort an ein sattes Gelb und stellt sich vor, wie die klein geschnittenen Blütenblätter diesen Farbton an das köstliche Gebäck abgeben und der Süße des Kuchens eine saftige Frische mit unerwartetem Unterton verleihen. „Einfach fantastisch lecker und so herrlich safrangelb!“, schwärmt Irmela Harz, die den Kuchen bereits probiert hat.
Die promovierte Agraringenieurin ist als Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung in der Gärtnerei beschäftigt und hat zuvor lange Zeit in Peru und Bhutan gearbeitet. Seit vier Jahren kümmert sie sich auf dem Schlockerhof um die sieben Männer und Frauen, die dort im Folientunnel, in Hochbeeten und in großen blauen Wassertonnen auf einem rund 1.000 Quadratmeter großen Acker heimische Wildstauden anbauen und vermarkten. Ob Beifuß, Blutampfer, Brennnessel oder Dost, Gundermann, Kerbel, Löwenzahn, Melde, Minze, Pimpinelle, Sauerampfer, Schafgarbe, Spitzwegerich oder Wilde Rauke. Nicht zu vergessen Giersch, jenes als Unkraut geziehene Ärgernis vieler Kleingärtner. „Nicht ärgern, essen“, lautet hier die Devise. Etwa als Salat, Suppe oder Pesto, „denn das funktioniert ohnehin mit fast allen Wildkräutern“, empfiehlt Irmela Harz.
Der experimentierfreudige Koch, Buchautor und Wildkräuterfachmann Peter Becker zaubert aus Löwenzahn nicht nur den bereits erwähnten goldgelben Käsekuchen, sondern auch deftigen Flammkuchen oder ein Wurzelparfait. Er gehört zum Team von Referenten, die Besuchern des Schlockerhofs die Arbeit der Wildkräutergärtnerei ganz praktisch in Vorträgen und Kochaktionen nahebringen. Projektleiter Christoph Schuch organisiert diese Workshops, um einer größeren Öffentlichkeit zu demonstrieren, wie das heimische Kraut vom Wegesrand am schmackhaftesten auf den Tisch kommt und was es sonst noch Gutes tut. Die aktuellen Termine für die Workshops finden sich hier.
Im Hofladen kann man die Wildkräuter und -stauden für rund drei Euro pro Pflanze genauso kaufen wie die klassischen Balkonpflanzen, die die Gärtnerei schon seit 1991 vertreibt. „Wildstauden schmeißt man nicht jedes Jahr weg, sie sind nachhaltig und bienenfreundlich und außerdem meist auch viel unempfindlicher, etwa gegen Trockenheit wie im vergangenen Sommer“, erläutert Schuch. Insekten, deren Zahl auch im Rhein-Main-Gebiet immer stärker zurückgeht, finden die nötige Nahrung an den Staubgefäßen, an die sie bei Züchtungen mit opulent gefüllten Blüten oft gar nicht rankommen oder die dort ganz fehlen. Trotz ihrer Schlichtheit sind auch Schafgarbe und Co. ein wahrer Augenschmaus im Garten und erleben seit ein paar Jahren auch in Hochglanz-Gartenzeitschriften neue Beachtung.
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Erntezeit
In der Gärtnerei arbeiten Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung und ernten etwa frischen Sauerampfer.
Die KfW Stiftung unterstützt das Wildstaudenprojekt finanziell. Pia Puljanic, Programmleiterin Umwelt und Klima, vermittelt die nötigen Kontakte und Kooperationen, etwa mit dem Botanischen Garten in Frankfurt. Im Casino der KfW kamen die Wildkräuter aus dem Hattersheimer Anbau im vergangenen Spätsommer auf den Tisch: „Machen Sie das öfter!“, so der Kommentar der Mitarbeiter. „Wildkräuter sind eine gesunde und köstliche Ergänzung auf dem Speiseplan“, ergänzt Schuch, den das Interesse des Casino-Kochs freut. Sein Ziel ist es, künftig auch Restaurants in der Region beliefern zu können.
Ein Brot mit dem Namen „Kräuterkruste“ gibt es seit Anfang März wieder in der Bäckerei des Schlockerhofs zu kaufen. Darin finden sich die getrockneten Wildkräuter, die nebenan auf eingezäuntem Acker wachsen, unbehelligt von Tieren oder Pflanzengift. Um eine schmackhafte Wildkräuterbutter herstellen und vertreiben zu können, bedarf es noch einiger Vorarbeit. Studenten der Offenbacher Hochschule für Gestaltung haben jedenfalls schon Entwürfe für die mögliche Verpackung entwickelt. Bestechend wirkt die Idee, dass jeder Mitarbeiter auf dem grünen Einwickelpapier seinen Namensstempel hinterlassen kann. Das sieht nicht nur hübsch aus, sondern fördert auch die Identifikation mit dem Produkt. Ohnehin herrscht in der Gärtnerei eine fröhliche Grundstimmung. Wer aufgrund seiner Behinderung einen ganz besonderen Bewegungsdrang hat, kann den auf den Feldern im Freien gut ausleben – frische Luft und ein hautnahes Erleben des Pflanzenwachstums inklusive. Unter den rund 30 Kräuterarten, die hier angebaut werden, sind ein Dutzend Wildkräuter.
Rezept
„Ach, du grüne Neune“ – Wildkräuterdip für 4 Personen
400 g Schichtkäse oder Seidentofu, 125 g Frischkäse oder festen Sojajoghurt mit 100 ml Sahne oder Sojamilch verrühren.
Würzen mit Luisenhaller Tiefensalz, Steinsalz oder Himalajasalz, frisch gemahlenem Pfeffer, 1 Prise Chili, 1 Prise Zucker oder etwas Agavendicksaft. 1 Messerspitze Schabzigerklee passt auch sehr gut dazu. Sparsam würzen, die Wildkräuter bringen ein charaktervolles Eigenaroma mit.
150 g klein gehackte gemischte Wildkräuter dazugeben, mindestens neun Sorten.
Mit einigen Spritzern frischem Zitronensaft ergänzen und durchziehen lassen.
Frische Gemüsesticks und Cracker ergänzen diesen Wildkräuterdip, er ist auch als Pausensnack im Büro ideal!
(Rezept von Dorisa Winkenbach, die in der Gärtnerei des Schlockerhofs ebenfalls Workshops anbietet. Sie ist „Naturaromaköchin“ und „Expertin für Angewandte Ernährungs- und Lebenskunst“)
Mehr erfahrenSämlinge von Roter Bete und anderen Gemüsen strecken gerade ihre grünen Spitzen aus der torffreien Erde. Die Gemüsepflanzen werden nach Südhessen und Baden-Württemberg geliefert, damit Kinder in Kitas und Schulen schon ganz früh umweltbewusstes Gärtnern lernen. Das mehrfach ausgezeichnete Projekt Ackerdemia nahm seinen Anfang im brandenburgischen Potsdam und ist bereits bundesweit verbreitet. Auf dem Schlockerhof wird nur Demeter-Saatgut von Landsorten verwendet, die im Gegensatz zu sogenannten Hybriden oder Hochleistungssorten weniger Ertrag liefern, aber genetisch an die regionalen Bedingungen besser angepasst sind. Auch einige Gehölze wie den Lettischen Zuckerapfel, die Melzer Mirabelle – sogenanntes Ur-Obst – sowie ganz seltene Rosen päppelt Irmela Harz mit ihren Mitarbeitern aus der Werkstatt im Auftrag einer Mainzer Baumschule auf. Das alles dient dem Erhalt der Artenvielfalt und der Rettung des Genmaterials aussterbender Obstsorten. „Wir stehen hier immer im Spannungsfeld zwischen Mensch und Pflanze“, sagt sie. Denn die sinnvolle Beschäftigung und Betreuung der Menschen mit Behinderung steht mindestens ebenso im Fokus wie die Liebe zu Umwelt und Pflanzen. Im Winter, wenn die Kräuter Pause haben, verarbeiten die Mitarbeiter die getrockneten Kräuter zu Tees und füllen sie in selbst gestaltete Verpackungen.
Ein buntes Aquarell am Memoboard skizziert, wie „Noahs Garten“ in einiger Zeit aussehen könnte: Die jetzt noch braune Ackerfläche verwandelt sich in einen duftenden Erlebnisgarten, Radler und Spaziergänger aus der Region schlendern an Hochbeeten entlang, schnuppern hier an Pfefferminze oder kosten dort ein Gierschblatt. Sitzgruppen laden ein, sich mit Kräuterlimonade und grünen Smoothies zu stärken. Reine Zukunftsmusik? Die Hochbeete hat Christoph Schuch jedenfalls bereits bestellt.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 25. März 2019
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 8: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle
Das Wirtschaftswachstum vergangener Jahrzehnte vollzog sich auf Kosten natürlicher Ressourcen und des Weltklimas und stößt längst an ökologische Grenzen. Es bräuchte mehrere Planeten Erde, um allen Menschen ein Leben zu ermöglichen, wie es heute in Deutschland selbstverständlich ist. Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bringt soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklungsziele in Einklang. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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