Wie geht es Kranken, die nicht stationär versorgt werden und sich zu Hause aufhalten? Diese Wissenslücke hat Yannik Schreckenberger mit seinem Start-up Heartbeat Medical geschlossen und einen Beitrag zur Genesung der Menschen geleistet – nicht zuletzt während der Corona-Pandemie.
Zur Person
Yannik Schreckenberger ist Geschäftsführer und Gesellschafter der HRTBT Medical Solutions GmbH mit ihrer Marke Heartbeat Medical. Er hat Physik studiert und ist seit 2010 im Bereich Digital Health unternehmerisch tätig. Heartbeat Medical, 2014 gegründet, beschäftigt 36 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an seinen Unternehmenssitzen in Berlin, Köln und London. Seine Kunden sind selbstständige Krankenhäuser, Klinikverbünde und Gesundheitsämter. Bisher haben mehr als 100.000 Patientinnen und Patienten das Befragungsprogramm des Start-ups durchlaufen.
Herr Schreckenberger, Ihr Start-up Heartbeat Medical ist spezialisiert auf Patient Reported Out-come Measures, abgekürzt PROMs. Was ist das genau?
YANNIK SCHRECKENBERGER: Wir haben eine Software für digitale Patientenbefragungen und Symptombeobachtungen entwickelt und messen auf diese Weise die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Patienten, die sich in häuslicher Umgebung befinden. Dadurch entlasten wir ärztliches Personal und helfen bei Therapieentscheidungen.
Wann kam Ihnen der Gedanke, sich in der Bekämpfung von Covid-19 zu engagieren?
Als alle nur noch über das Virus redeten und klar wurde, wie wichtig im Infektionsgeschehen von Covid-19 die frühzeitige Abfrage von Symptomen ist.
Seit wann arbeiten Sie mit Ihrer Monitoring-Plattform CoV-19 PROgress?
Wir begannen Anfang März, kurz vor dem Lockdown in Deutschland, mit der Entwicklung der Plattform und haben sie ab Ende März eingesetzt. Unseren Bestandskunden stellen wir CoV-19 PROgress kostenlos zur Verfügung. Bisher hat eine vierstellige Zahl von Corona-Patientinnen und -Patienten unsere Online-Befragung durchlaufen. Sie wird in erster Linie eingesetzt bei Menschen, bei denen ein Verdacht auf eine Infektion besteht. Fällt ein Test negativ aus, wird die Überwachung abgebrochen.
Ihr wichtigster Corona-Kooperationspartner unter den Kliniken, mit denen Sie zusammenarbeiten, ist die Berliner Charité. Wie kam es dazu?
Mit der Charité arbeiten wir seit 2016 zusammen. Professor Matthias Rose, ärztlicher Direktor der dortigen Klinik für Psychosomatik, ist ein weltweit anerkannter Experte für PROMs. Mit ihm haben wir früh darüber gesprochen, wie ein Fragebogen für Covid-19-Fälle aussehen kann.
Bitte geben Sie ein paar Beispiele, wonach Patienten über das Online-Tool gefragt werden.
In diesem Fall fragen wir zahlreiche Symptome ab, die laut der aktuellen Forschung auf eine Covid-19-Erkrankung schließen lassen. Darunter: Haben Sie anhaltenden, trockenen Husten oder Schüttelfrost? Bringt Sie ein Treppenaufstieg außer Atem? Leiden Sie unter Geruchs- oder Geschmacksverlust?
Welchen Umfang hat die Beschäftigung mit Covid-19 bei Heartbeat Medical bekommen?
Ab Ende März haben wir einige Wochen lang nichts anderes gemacht. Wir wussten dabei aber immer, dass diese besonderen Erfahrungen auch unserem eigentlichen Geschäft zugutekommen würden. Seit einiger Zeit sind wir wieder zurück im Normalmodus.
Bei welchen Krankheiten wird Ihre Software bisher besonders häufig eingesetzt?
Unsere Systematik kann grundsätzlich alle Krankheitsbilder abdecken. Nach jetzigem Stand setzen sie vor allem Orthopäden nach Gelenkersatzoperationen ein. Auch die Onkologie spielt eine große Rolle. Da geht es auch viel um die mentale Gesundheit sowie psychosomatische Aspekte.
Ist die Wirksamkeit von PROMs wissenschaftlich fundiert?
Die Zahl qualitativ hochwertiger Veröffentlichungen zur Wirksamkeit von PROMs steigt. Es gibt unter anderem eine evaluierte Studie zum Lungenkrebs. Lungenkrebspatienten, zu deren Behandlung auch die wöchentliche Abfrage ihrer Lebensqualität gehörte, lebten im Schnitt neun Monate länger als Patienten, bei denen das nicht passierte. Da erschrickt man schon, wenn man weiß, dass solche Erfassungen noch nicht verpflichtend vorgeschrieben sind.
Gibt es für spezifische Krebserkrankungen eigene Fragebögen?
Die Fragen sind immer abgestimmt auf das spezifische Krankheitsbild und werden ergänzt durch allgemeine Erkundigungen nach dem Schmerzempfinden, der Beweglichkeit und der psychischen Stabilität.
Messen die Patienten auch selber Werte wie Blutdruck oder Puls?
Wir sind auf dem Weg, unsere PROMs zu einem Medizinprodukt unter den Bedingungen der European Union Medical Device Regulation zu machen. Dafür müssen wir garantieren, dass bestimmte Kriterien eingehalten werden. Noch arbeiten wir ausschließlich mit Fragebögen. Aber künftig werden wir weitere Datenquellen hinzufügen können.
Wird Ihre Software auch von Arztpraxen eingesetzt?
Wir bekommen Anfragen von Ärzten. Es ist aber betriebswirtschaftlich sinnvoller, mit größeren Einheiten wie Kliniken und Gesundheitsämtern zusammenzuarbeiten.
Ergänzt das System den Besuch beim Arzt oder ersetzt es ihn gar?
Noch ergänzt es ihn. Im Gesundheitssystem der Zukunft ist nach unserer Vorstellung aber der Arztbesuch nicht mehr termin-, sondern symptombasiert. Heißt: Nur weil ein neues Quartal ansteht, muss ich nicht zum Arzt gehen. Damit schaffen wir in den Praxen Kapazitäten für neue Patientinnen und Patienten.
Produziert Ihre Software Warnhinweise für Patienten? Leuchten nach dem Ausfüllen des Fragebogens rote und grüne Ampeln auf?
Technisch wäre das möglich, aber: Nein, die Interpretation der Ergebnisse obliegt nach wie vor der Medizin.
Die Daten, die durch die PROMs erhoben werden, lassen sich auf zweierlei Weise nutzen. Zur Verbesserung der Lebenssituation der befragten Patienten und zur Forschung. Werten Sie die Daten selber aus, oder stellen Sie sie der Wissenschaft zur Verfügung?
Grundsätzlich bleiben jegliche Daten in Kundenhand. Wir haben keinen Zugriff darauf. Wir bitten Patienten aber, anonymisierte Daten auswerten zu dürfen. Wenn eine Klinik sagt, das möchte ich nicht, dann machen wir das auch nicht. Nur wenn eine Klinik der Datenauswertung zustimmt, bekommt sie Analysen von uns. Wir können einerseits mit den Daten die Fragebögen optimieren und andererseits Ärzten berichten, wie die Ergebnisse ihrer Patienten sich zum Durchschnitt verhalten.
Ihr Unternehmen arbeitet in einer Branche, die sich Digital Health nennt. Deutschland hat bei der Digitalisierung im weltweiten Vergleich bekanntlich Nachholbedarf. Gilt das auch für Digital Health?
Wir sind aus den theoretischen Diskussionen heraus und entwickeln Vorstellungen, wie Digital Health datenschutzkonform umgesetzt werden kann. Es gibt im Bundesgesundheitsministerium eine ganz andere Kompetenz bei dem Thema als früher. Das zeigt sich unter anderem im Digitale-Versorgung-Gesetz, das Ende 2019 verabschiedet wurde.
Welche Länder sind bei Digital Health führend?
Vor allem in den USA und in Großbritannien bewegt sich viel. Auch in Ländern wie Lettland und Dänemark. Aber in kleineren Ländern lässt sich Digitalisierung sowieso leichter durchsetzen. Bei unserem Thema, den PROMs, sind die skandinavischen Länder deutlich weiter.
Welche Rahmenbedingungen müssten sich noch verbessern?
Ein Innovationshemmnis sind die Datenschnittstellen im Gesundheitssystem. Es kostet aktuell sehr viel Geld und Zeit, Daten miteinander zu verknüpfen. Viele Anbieter von Software für Krankenhäuser und Praxen sind nicht bereit, international gültige Standardschnittstellen zur Verfügung zu stellen, oder rufen dafür unverhältnismäßig hohe Beträge auf. Sie müssten gesetzlich dazu verpflichtet werden, Schnittstellen zu öffnen. Das Ergebnis der heutigen Praxis: Daten landen in Silos. Mithilfe sinnvoll verknüpfter Informationen könnten wir aber die Lebensqualität von Patienten verbessern. Heartbeat Medical hat mittlerweile Schnittstellen zu den meisten Systemen etabliert, aber neue Start-ups müssen sich mit den teuren Schnittstellenproblemen stets erneut rumschlagen.
Untersuchungen zeigen, dass Risikokapitalgeber in Deutschland Investitionen in Digital Health in besonderem Maße für erfolgversprechend halten. Merken Sie das?
Wir sehen den Wunsch von Investoren, in sozial nachhaltige Themen zu investieren. Das halte ich für einen positiven Trend. Es zeigt sich auch, dass das Thema Digital Health krisenresistent ist. Auch wir bei Heartbeat Medical planen eine neue Finanzierungsrunde, um uns noch stärker aufstellen zu können, auch im Blick auf internationale Märkte.
Ihr Unternehmen gibt es seit 2014. Wo sehen Sie sich im Jahr 2024?
Die EU verpflichtet mit ihrer Medical Device Regulation Hersteller medizinischer Produkte, deren realen Nutzen nachzuweisen. Eben dieser Nachweis gehört zu unserem Kerngeschäft: Wir können Unternehmen, Krankenkassen, Ärzte unterstützen, da wir diese Real World Data erfassen. Auf diesem Gebiet wollen wir 2024 in Europa eine führende Rolle spielen.
Wollen Sie das Geschäftsmodell von Heartbeat Medical ausweiten?
Das Thema PROMs ist so groß, dass wir darauf fokussiert bleiben.
Und was werden die kommenden Jahre insgesamt auf dem Gebiet der digitalen Gesundheitsversorgung bringen?
Wir haben derzeit ein System, das auf Ärzte zentriert ist. Ich denke, dass die Patienten ins Zentrum rücken müssen. Die Digitalisierung öffnet solch einem Systemwechsel die Türen.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 17. November 2020.
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