Die Weltgemeinschaft hat sich 1988 vorgenommen, Kinderlähmung weltweit auszurotten. Eines der letzten Hochrisikoländer ist Nigeria. Hier agiert eine Initiative von WHO und UNICEF mit dem Ziel, alle Kinder unter fünf Jahren gegen das Polio-Virus zu impfen. Doch im Norden bedroht die Terrorgruppe Boko Haram Ärzte und Impfhelfer.
Von Dorf zu Dorf und von Hütte zu Hütte ziehen Ärzte und Impfhelfer – begleitet von Soldaten. Sie wollen Millionen Kinder im Nordosten von Nigeria gegen Polio impfen. Via Satellit werden Menschenansammlungen in den unerschlossenen Gebieten geortet. Erscheint der Moment günstig, muss alles ganz schnell gehen. Die Gruppen begeben sich zu den Dörfern, sammeln alle Kinder unter fünf Jahren ein und geben ihnen Schluckimpfungen gegen Kinderlähmung. Etwa zwei Stunden später kann das Team den gefährlichen Ort wieder verlassen. Verfolgt wird die sogenannte Hit and Run-Strategie: Das möglichst schnelle und gezielte Handeln, ohne selbst Opfer terroristischer Gewalt zu werden.
Nigeria zählt neben Afghanistan und Pakistan zu den drei Ländern weltweit, in denen Kinderlähmung noch nicht ausgerottet ist. In Europa traten die letzten Fälle in den Neunzigerjahren auf. Trotzdem müssen, wie in Deutschland, weltweit alle Kinder weiterhin standardmäßig gegen Polio geimpft werden, da immer noch ein Ansteckungsrisiko durch eingeschleppte Viren besteht.
Die Viruserkrankung Poliomyelitis, kurz Polio, befällt Kinder unter fünf Jahren. Meistens verläuft die Infektion unbemerkt. In etwa jedem sechsten Fall erleiden allerdings die Nervenzellen im Rückenmark Schaden, und es kommt zu bleibenden Lähmungen. Sind auch die Atemwege betroffen, verläuft die Krankheit tödlich. Zum Schutz müssen Kinder unter fünf Jahren mit zwei Schluckimpfungen versorgt werden. Um das Virus zu stoppen, ist eine mindestens 95-prozentige Impfabdeckung notwendig, auch in den entlegenen Ecken von Nigeria.
In weiten Teilen des Landes übernimmt die lokale Gesundheitsbehörde das Impfen. Im Nordosten ist das aus Sicherheitsgründen nicht möglich, weil Regionen wie Borno von Boko Haram besetzt sind. Die Terrorgruppe lehnt westliche Werte ab, auch die Gesundheitsvorsorge. „In der Vergangenheit wurden gezielt Schulen und Krankenhäuser angegriffen“, sagt der KfW-Projektmanager Julien Morel. Es gebe seit Jahren keine regulären Einrichtungen mehr. Daher werden die Impfungen in diesen Regionen von Impfteams der WHO und der UNICEF durchgeführt, die von bewaffneten Sicherheitskräften begleitet werden. Die gefährlichen Gebiete erstrecken sich auf etwa ein Viertel des Landes mit knapp 20 Millionen Menschen, davon rund zwei Millionen Kinder. „Wo genau wie viele Menschen leben, wissen wir nicht“, sagt Julien Morel. Es gibt keine Statistiken oder gar Impfbücher.
Die Impfteams agieren im Rahmen der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) und des Nigeria Polio Eradication Emergency Plan. Die Initiative will neue Ausbrüche der Kinderlähmung verhindern und Polio weltweit ausrotten. Der Projektpartner vor Ort ist das nigerianische Gesundheitsministerium, vertreten von der National Primary Health Care Development Agency (NPHCDA). Die Impfteams werden von der WHO, von UNICEF und NPHCDA aufgestellt und von der KfW umfangreich finanziell unterstützt. Seit 2005 hat die KfW das Impfprogramm mit mehr als 100 Millionen Euro gefördert. Auch die japanische JICA unterstützt das Programm.
Rund 370.000 lokale Impfhelfer wurden bisher für die gefährliche Mission eingesetzt, im Jahr 2013 hat Boko Haram 13 Mitarbeiter getötet. Neben terroristischen Angriffen arbeiten die Impfhelfer unter weiteren schwierigen Bedingungen: „Die Infrastruktur ist sehr schlecht, es gibt kaum asphaltierte Straßen. In der Regenzeit kann man viele Regionen nur mit Booten erreichen“, beschreibt Julien Morel den Zugang zu den entlegenen Gebieten. „Oft müssen die Teams weite Strecken zu Fuß zurücklegen und die schwere medizinische Ausrüstung schleppen, weil die Anreise in Autos zu auffällig wäre.“
Quelle
Dieser Artikel ist eine Ergänzung zur Fotostrecke über Entwicklungszusammenarbeit in CHANCEN Herbst/Winter 2017 „Mut“.
Zur AusgabeDie Zahl der an Polio erkrankten Kinder ist in Nigeria seit einem Jahrzehnt stark rückläufig. Zwischen Juli 2014 und Juli 2016 konnte die Übertragung des Virus unterbrochen werden. Zwar traten im August 2016 vier neu entdeckte Fälle auf, jedoch gab es seitdem auf dem gesamten afrikanischen Kontinent keine Neuansteckungen mehr mit dem Wildpolio-Virus. Diese dreijährige Unterbrechung stellt einen wichtigen Meilenstein dar: Nigeria könnte schon bald offiziell als poliofrei zertifiziert werden und damit der gesamte afrikanische Kontinent.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 3: Gesundes Leben für alle
Gesundheit ist gleichzeitig Ziel, Voraussetzung und Ergebnis von nachhaltiger Entwicklung. Ihre Förderung ist ein Gebot der Menschlichkeit – sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern. Weltweit leben etwa 39 Prozent der Weltbevölkerung ohne Krankenversicherung, in einkommensarmen Ländern sind es sogar mehr als 90 Prozent. Immer noch sterben viele Menschen an Krankheiten, die bei richtiger Behandlung nicht tödlich verlaufen müssten oder mit Impfungen einfach zu verhindern wären. Mittels Stärkung der Gesundheitssysteme und insbesondere einer breiten Verfügbarkeit von Impfstoffen kann es uns gelingen, diese Krankheiten bis 2030 zurückzudrängen und sogar auszurotten. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 28. September 2017, aktualisiert am 13. November 2019.
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