Normalerweise fertigen in der Frankfurter Schneiderwerkstatt Stitch by Stitch geflüchtete Frauen hochwertige Mode. Als wegen der Corona-Pandemie die Aufträge wegbrechen, droht schon die Kurzarbeit. Doch plötzlich kommen Anfragen von Arztpraxen, Pflegeheimen und Privatleuten nach Mund- und Nasenschutz. Stitch by Stitch reagiert schnell und erweitert die Produktpalette.
„Wir kommen mit der Arbeit nicht hinterher.“ Nicole von Alvensleben staunt noch immer über die kurzfristige Wende bei Stitch by Stitch (Stich für Stich). Der Frankfurter Betrieb ist Schneiderwerkstatt und Sozialunternehmen in einem, gegründet vor vier Jahren von der Modedesignerin und Schneiderin Claudia Frick und der Marketing- und Kommunikationsexpertin von Alvensleben, um nach Deutschland geflüchteten Migrantinnen zu Arbeit zu verhelfen. Normalerweise produzieren die Schneiderinnen Kollektionen und Mustermodelle für Modefirmen. Seit Mitte März aber nähen sie vor allem Masken.
Als die Corona-Pandemie über Deutschland kam, brachen Stitch by Stitch die Aufträge weg. „Wir haben gedacht, wir machen zu und stellen Anträge auf Kurzarbeit“, erinnert sich von Alvensleben. Doch just zu der Stunde kam ein ungewöhnlicher Auftrag einer anderen Manufaktur: Sie bestellte Mund- und Nasenschutz. Bald rissen die Anfragen nicht mehr ab. Es meldeten sich Pflegeheime, Umzugsunternehmen, Arztpraxen, Museumsshops und natürlich auch Privatleute. Stitch by Stitch reagierte schnell. Große Mengen Stoff wurden besorgt und: 5.000 Meter Gummilitze.
Von schlicht bis fantasievoll
Eigentlich steht der Name der Manufaktur für hochwertige Mode. „Design ist unsere Expertise“, sagt Frick, die 2008 das Modelabel „Coco Lores“ mitgegründet hat. Und deshalb habe man begonnen, „eigene Maskenmodelle zu entwickeln“. Aus neun zum Teil bestickten Varianten kann man mittlerweile im Online-Shop des Unternehmens wählen. Das Basic-Modell verkauft sich am besten, sehr gut läuft aber auch der größenverstellbare Schutz im Jeanslook. Firmen bekommen ab einer Bestellung von 100 Stück auf Wunsch ihr Logo an der Seite eingenäht.
„Wir kommen mit der Arbeit nicht hinterher.“
„Wir sind froh, dass wir Arbeit haben“, sagt von Alvensleben, und dass sie auf diese Weise einen Beitrag leisten können zur Bewältigung der Krise. Das Unternehmen selbst verdankt sich schließlich einer besonderen Herausforderung. Die KfW Stiftung zeichnete 2016 Stitch by Stitch im Rahmen der Flüchtlingshilfe für die Idee aus, Migrantinnen zu Schneiderinnen auszubilden und ihnen damit eine berufliche und finanzielle Perspektive zu geben. Das Unternehmen wurde im „Ankommer. Perspektive Deutschland“-Programm aufgenommen.
Mit zwei Flüchtlingen begann Stitch by Stitch, heute arbeiten 14 Frauen in dem Sozialunternehmen, darunter zehn Schneiderinnen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran, Madagaskar und Äthiopien. Sieben sind noch in der Lehre, drei haben inzwischen den Gesellinnenbrief, auch Esraa Ali, die mit ihrer Familie aus Damaskus geflohen war und 2016 im Alter von 20 Jahren bei Stitch by Stitch anfing.
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Die modischen Masken sind zum Teil kreativ bestickt. Diese Serie nennt sich „Maske #2 mit vielen Lippenbekenntnissen“, zur Auswahl stehen etwa die Worte Maskenball und Mundart.
Von der PET-Flasche zum Kleidungsstück
Nach wie vor fördert die Stadt Frankfurt den Betrieb, da er eine Ausbildung anbietet, und zwar nicht nur eine berufliche. Die Migrantinnen nehmen an Deutschkursen teil, bekommen bei Stitch by Stitch zudem Nachhilfeunterricht in Deutsch und Mathematik und werden auf Prüfungen vorbereitet. Letztlich könnten Frauen, die ohne Schulabschluss zu ihnen kommen, über Lehre und Lehrabschlüsse bis hin zur Meisterinprüfung einen Weg zum Fachstudium finden, erklärt von Alvensleben.
Das Engagement der Gründerinnen wurde nach der Auszeichnung durch die KfW Stiftung 2017 mit dem Gründerpreis der Stadt Frankfurt und im selben Jahr mit einem Platz auf der Shortlist zum Deutschen Integrationspreis gewürdigt.
Vor einem Jahr startete die Manufaktur ihr eigenes Label. „Nachhaltigkeit ist dabei unser Grundsatz“, erklärt Frick. Die meisten Teile der Kollektion sind aus einem Stoff gearbeitet, den eine deutsche Firma aus recycelten PET-Flaschen herstellt. Die Arbeit an der eigenen Marke musste aber phasenweise hintanstehen, denn die Auftragsarbeiten lasteten die Werkstatt aus. Der Umsatz verdoppelte sich im vergangenen Jahr.
In der Maskenproduktion bleibt man der eigenen Linie treu. Das Stoffstück, das alle Bundesländer ab Ende April 2020 für den öffentlichen Nahverkehr und den Ladenbesuch vorschreiben, wird sich nach den Worten von von Alvensleben zum „Fashion Statement“ entwickeln. Eine modische Maske bringe auch „etwas Leichtigkeit“ in die Krisenlage. „Die Ideen gehen uns nicht aus“, sagt die Managerin. Und so wird Stitch by Stitch nicht nur einen Mund- und Nasenschutz aus virenresistentem Material anbieten, sondern vielleicht auch Accessoires wie eine Tasche für die Maske, sozusagen den Schutz für den Schutz, oder Handschuhe im selben Design und Material.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 28. April 2020.
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