Eine Frau hält eine Ampule mit Hepcludex, Pulver zur Herstellung von Injektionszubereitung in Ihrer Hand
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Das Milliarden-Medikament

MYR ist eine besondere deutsche Erfolgsgeschichte. In knapp zehn Jahren kommt das Biotech-Unternehmen aus Bad Homburg mit nur einem Medikament von Null auf eine Milliarde Euro. Wie hat das geklappt?

Norbert Dinauer (r.), PhD, Chief Operations Officer und Florian Vogel (L.), Chief Commercial Officer von Myr Pharmaceuticals GmbH

v.l. Florian Vogel, Chief Commercial Officer, und Norbert Dinauer, Chief Operations Officer, von MYR Pharmaceuticals aus Bad Homburg

31. Juli 2020: Im Firmensitz des Biotech-Unternehmens MYR GmbH an der Thomasstraße in Bad Homburg knallen die Korken. Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat dem Medikament Hepcludex die bedingte Zulassung erteilt. Damit ist der weltweit erste Wirkstoff zur Behandlung von chronischer Hepatitis D noch vor Abschluss der dritten Phase der klinischen Studien zugelassen. „Das war für uns ein sehr emotionaler Moment“, sagt Florian Vogel heute, Geschäftsführer von MYR. „Wir hatten es geschafft, ein lebensrettendes Medikament bis zur Markteinführung voranzutreiben – und den Patienten eine Behandlungsoption für die schwerste Form der viralen Hepatitis zur Verfügung zu stellen.“

Die Zulassung war der Lohn für zehn Jahre harte Arbeit. Im Dezember 2010 haben Jörn Möller und Alexander Alexandrov MYR Pharmaceuticals gegründet, in Partnerschaft mit dem Lizenzgeber Universitätsklinikum Heidelberg – dort war der Wirkstoff Bulevirtid, der dem Medikament zugrunde liegt, vom Molekularbiologen Prof. Dr. Stephan Urban entwickelt worden. Der Virologe, der auch das Konsortium des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) koordiniert: „Dieses Projekt ist ein Paradebeispiel für translationale Forschung aus der Universität, die in Zusammenarbeit mit der Industrie den Weg in die Klinik gefunden hat.“

Eine Reihe von Ampulen mit Hepcludex, Pulver zur Herstellung von Injektionszubereitung stehen auf einem Tisch

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat dem MYR-Medikament Hepcludex, dem weltweit ersten Wirkstoff zur Behandlung von chronischer Hepatitis D, im Sommer 2020 die Zulassung erteilt.

Gegen die chronische Hepatitis-D-Virus-Infektion, die die Leber schädigt und in vielen Fällen tödlich verläuft, gab es bis zur Zulassung keine medikamentöse Behandlungsoption. In Industrieländern wie Deutschland sind virale Hepatitis-Erkrankungen dank flächendeckender Impfungen kein großes Problem mehr – wohl aber weltweit: Mit weltweit 360.000.000 chronisch Infizierten und 650.000 Toten pro Jahr zählt Hepatitis B zu den großen Volkskrankheiten. 5 bis 10 Prozent der chronisch HBV-Infizierten erkranken auch an Hepatitis D – der schwersten Form der viralen Leberentzündung, die in 80 Prozent der Fälle nicht behandelbar ist. Die Leitsubstanz Bulevirtid soll es verhindern, dass Hepatitis-D-Viren in die Leberzellen eindringen können. Norbert Dinauer, Apotheker und COO der MYR: „Der Wirkstoff ist eine synthetische Kopie eines spezifischen Stückes der Virusoberfläche. Die Kopie blockiert den Eintritt des echten Virus in die Leberzellen und verhindert somit langfristig die Schädigung des Organs.“

Norbert Dinauer, PhD, Chief Operations Officer, im Gespräch mit Florian Vogel, Chief Commercial Officer und Christiane Schwittay, Senior Marketing Project Manager

v.l. Christiane Schwittay (Senior Marketing Project Manager), Norbert Dinauer (COO) und Florian Vogel (CCO)

Die Zulassung des Virusblockers sorgte auch international für großes Aufsehen. Im Dezember 2020 legte der US-Pharmariese Gilead 1,15 Milliarden Euro für das 45-Mitarbeiter-Unternehmen aus Bad Homburg auf den Tisch. Damit gehört MYR nun zum kleinen Kreis der deutschen Einhörner: Im exklusiven Kreis der Start-ups, die es über die Milliardengrenze geschafft haben, befinden sich zum Beispiel noch N26, Flixbus, About You und Mambu. Die Einreichung des Antrags zur Zulassung von Bulevirtid in den USA ist für diesen Herbst geplant. Die Entscheidung der US-Gesundheitsbehörde „Food and Drug Administration“ (FDA) wird dann in Mitte 2022 erwartet. Fällt sie positiv aus, erhalten die Gesellschafter weitere 300 Millionen Euro.

Die wichtigste Weichenstellung auf dem Weg zum Milliardenunternehmen: „Eine der Kernentscheidungen war es, die Entwicklung des Wirkstoffs zur Marktreife in Eigenregie durchzuführen“, sagt Florian Vogel. „Das ermöglichte eine strategische Planung der Schritte unter Einhaltung höchster Effizienz.“ MYR hat den Wirkstoff von der Präklinik bis zur erfolgreichen Vermarktung konsequent vorangetrieben, von „bench to bedside“, also vom Labor bis zum Krankenhausbett. Der Standort Deutschland, so Vogel, war dabei ein großer Vorteil: „Neben der guten Infrastruktur ist es der Zugang zu Talenten mit Fachwissen, Leidenschaft und Willen, die eine Organisation erfolgreich wachsen lassen. MYR hat gezeigt, was mit starken Partnern möglich ist.“

High-Tech Gründerfonds (HTGF)

Der High-Tech Gründerfonds investiert Risikokapital in junge Technologieunternehmen, die innovative Geschäftskonzepte umsetzen. Die Gelder des Public-Private-Partnership kommen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, von KfW Capital, von der Fraunhofer-Gesellschaft und Wirtschaftsunternehmen wie BASF, Boehringer Ingelheim, Qiagen und SAP.

www.high-tech-gruenderfonds.de

Der High-Tech Gründerfonds (HTGF) hat bereits in der schwierigen Anfangsphase in das Unternehmen investiert. Die Gelder haben die Weiterentwicklung des Wirkstoffes und die erstmalige Testung an gesunden Freiwilligen im Rahmen der klinischen Phase I ermöglicht. „Für MYR war das Engagement des HTGF einschließlich dessen strategischer Beratung und breiten Netzwerks gerade in der mit sehr hohem Risiko behafteten Anfangsphase entscheidend. Andere deutsche Venture-Capital-Investoren waren damals nicht interessiert, in MYR zu investieren“, sagt Thomas Christély, Geschäftsführer und Chief Financial Officer der MYR.

HTGF-Partner Bernd Goergen, der zum Thema Hepatitis promoviert hat, erkannte das Potenzial von MYR bereits in der Präklinik-Phase. Die frühe und enge Begleitung hat sich nun für den Fonds ausgezahlt. Es konnten Rückflüsse im dreistelligen Millionenbereich realisiert werden. „Wir sind sehr stolz, mit dem Verkauf der MYR das erste HTGF-Unicorn zu realisieren“, sagte Geschäftsführer Alex von Frankenberg nach dem Milliardenverkauf.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 19. Mai 2021.