Stefanie Lang ist seit der Gründung des Legacy Landscapes Fund (LLF) im Jahr 2021 die erste Direktorin des Naturschutzfonds. Mit KfW Stories sprach die international erfahrene Naturschützerin über den dramatischen Artenschwund und warum der neue Fonds einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Biodiversitätskrise leisten kann.
Zur Person
Stefanie Lang ist seit gut 25 Jahren in der internationalen Zusammenarbeit und im Naturschutz tätig. Von Hause aus Anthropologin, hat sie den größten Teil ihrer Berufstätigkeit im Ausland verbracht und dabei Station in Ländern wie Jordanien, Äthiopien, Tansania, Laos, Myanmar, aber auch in Lettland, Russland und Belgien (EU in Brüssel) gemacht. Zuletzt war sie viele Jahre beim WWF tätig. Den Posten als Direktorin des Legacy Landscapes Fund hat sie am 1. April 2021 angetreten. Sie ist begeistert von der neuen Aufgabe und will jetzt all ihre Energie darauf verwenden, diesen neuen Fonds zum Erfolg zu führen.
Frau Lang, wie ernst ist die Lage? Wie stark und wie schnell vollzieht sich der Verlust an Biodiversität?
Stefanie Lang: Die Lage ist sehr ernst. Wir verlieren Arten in atemberaubender Geschwindigkeit, so schnell und so dramatisch wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Im Schnitt stirbt alle elf Minuten eine Art aus, mehr als 100 am Tag. Das sind nicht nur große Säugetiere wie Eisbären, Tiger oder Primaten, deren Bedrohung wir seit langem beobachten. Wir verlieren zum Beispiel auch Moose, Baumarten, Vögel und Insekten. Die beiden letztgenannten sind wichtige Bestäuber und damit für die Welternährung unerlässlich. Der Erhalt der Artenvielfalt ist also zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden. Deshalb müssen wir eine Trendwende einleiten.
Ist die Corona-Pandemie vielleicht das sichtbarste Zeichen für Ihre Aussage?
Wenn Sie so wollen ja. Denn der Ausbruch der Pandemie ist auch eine Folge des weltweit ausbeuterischen Umgangs mit der Natur. Und dem immer kleineren Raum, den wir unberührter Natur lassen. Eigentlich stehen wir vor drei Krisen gleichzeitig: Wir müssen den Klimawandel mit all seinen Folgen meistern und weiter für die Abminderung der Erderhitzung kämpfen; wir müssen Pandemien eindämmen und am besten verhindern, und wir müssen den massiven Verlust an Biodiversität stoppen.
Biodiversität in Bolivien
(Quelle: KfW Bankengruppe/Christian Chua/Thomas Schuch)
Ist andernfalls nach der Pandemie vor der nächsten Pandemie?
Inzwischen ist klar, dass 70 Prozent aller neu auftretenden Infektionskrankheiten wie Ebola, Zika, die Influenza oder HIV/Aids auf sogenannte Zoonosen zurückgehen. Das sind Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden. Nach Angaben des Weltbiodiversitätsrats gibt es noch rund 1,7 Millionen nicht erkannte Viren in Säugetieren und Vögeln, von denen ein guter Teil auf den Menschen überspringen könnte. Je mehr intakte Ökosysteme zerstört werden, desto enger der Kontakt und desto wahrscheinlicher eine Übertragung. Diese Gefahr ist also real. Und was das bedeutet, haben wir in den letzten 1,5 Jahren sehr schmerzhaft erfahren. Deshalb ist es unverzichtbar, nicht weiter in die Natur einzudringen, Wälder zu roden, Ökosysteme auszubeuten und Lebensräume zu zerstören.
Und wie hängen Klimawandel und Biodiversität zusammen?
Eine reiche Biodiversität ist ein wichtiges Mittel, um die Erderhitzung zu verlangsamen, weil zum Beispiel Wälder, aber auch Moore klimaschädliche Gase speichern. Umgekehrt beschleunigt der Klimawandel den Artenschwund: Er trocknet Flüsse aus oder gefährdet die Habitate von Tierarten, wenn sie sich höheren Temperaturen nicht anpassen können. Der Konnex hier ist untrennbar – deshalb ist es so wichtig, dass wir bei beidem ansetzen. Beim Klimaschutz wurde mit dem Pariser Abkommen schon einiges erreicht, auch wenn bei der Umsetzung noch viel zu tun bleibt. Beim Biodiversitätsschutz fehlen die entsprechend ehrgeizigen Ziele noch, von der Umsetzung ganz zu schweigen.
Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um den Schwund an Biodiversität aufzuhalten? Ist das überhaupt noch zu schaffen?
Wir können auf jeden Fall etwas dagegen unternehmen, denn wir Menschen sind die Haupttreiber des Artenschwundes. Ein wichtiger Baustein sind gut verwaltete Schutzgebiete, die nicht allein auf dem Papier bestehen, sondern Natur wirklich schützen. Das Dilemma liegt derzeit aber darin, dass sich etwa 80 Prozent unserer Biodiversität auf 20 Prozent der Erdoberfläche konzentrieren. Meist befinden sich diese sogenannten Biodiversitätshotspots in ärmeren Ländern, wo das Geld knapp ist, erst recht in Zeiten von Corona. Dort muss Naturschutz mit vielen anderen drängenden Herausforderungen um knappe Mittel konkurrieren – Bildung, Gesundheit, Nahrungsmittelversorgung, um nur einige zu nennen. Diese Länder brauchen Unterstützung bei ihren Schutzgebieten.
Aber gibt es nicht bisher auch schon Gelder dafür?
Im Moment fließen nur rund 20 Prozent der weltweiten Mittel für den Naturschutz in Entwicklungsländer. Das genügt nicht, zumal wir noch deutlich mehr Schutzgebiete benötigen. Derzeit stehen etwa 16 Prozent der Landfläche und rund 8 Prozent der Meere unter Schutz. Das ist zu wenig für eine Trendumkehr. Der Wissenschaft zufolge bräuchten wir 30 Prozent terrestrische und 30 Prozent maritime Schutzflächen und zwar bis zum Jahr 2030, also in den nächsten neun Jahren. Deshalb diskutiert die internationale Gemeinschaft über das sogenannte 30:30-Ziel, 30 Prozent Schutzgebiete bis zum Jahr 2030 auszuweisen. Ob das die notwendige Unterstützung findet, wissen wir nach der nächsten Vertragsstaatenkonferenz im November 2021 im chinesischen Kunming. Deutschland setzt sich dafür ein, aber es braucht eine weltweite Bewegung hierfür.
Wie müssten denn Schutzgebiete aussehen, damit sie ihrem Anspruch wirklich gerecht werden?
Schutzgebiete funktionieren mit ausreichend Mitteln und durchdachten Konzepten, klaren Zielen und einer breiten Partnerschaft mit der lokalen Bevölkerung. Mögliche Interessenkonflikte zwischen Nutzung und Schutz müssen sorgfältig analysiert und austariert werden. Naturschutz kann nur mit den Menschen geschehen, nicht gegen sie. In vielen Fällen sind die lokalen, teilweise indigenen Bevölkerungsgruppen die besten Kenner der Natur, sie haben nachhaltige Nutzungskonzepte, die seit Jahrhunderten bestehen. Deshalb müssen Schutzgebiete und ihre Anrainerbevölkerung gemeinsam unterstützt werden. Das ist unser Anspruch beim Legacy Landscapes Fund.
Der Fonds wurde vor zwei Jahren gegründet, Sie sind seit 1. April 2021 im Amt. Was ist das Besondere an diesem Fonds?
Sein partnerschaftlicher Ansatz. Genau wie wir Natur und Menschen verbinden wollen, so bringen wir auch alle relevanten Akteure im Naturschutz zusammen. Bei den bisher bekannten Finanzinstrumenten haben wir entweder staatliche Einheiten wie die Globale Umweltfazilität der Vereinten Nationen (GEF) und den Grünen Klimafonds. Oder es gibt private Geber wie die Rockefeller Foundation. Aber die Kombination fehlt. Den LLF unterstützen öffentliche Geber wie Deutschland, Frankreich und das UNESCO-Welterbe-Sekretariat sowie private Unternehmen und Stiftungen. Auch NGOs arbeiten eng mit dem Fonds zusammen. Das ist einzigartig.
Warum genau ist das wichtig? Die einzelnen Geber könnten doch auch einfach gleiche Ziele verfolgen.
Das ist aus verschiedenen Gründen wichtig, dazu gehören finanzielle und konzeptionelle. Erstens ist inzwischen vollkommen klar, dass staatliche Geber die Finanzierung für den Biodiversitäts-Erhalt nicht allein aufbringen können. Wir brauchen dazu auch privates Geld. Wir sprechen hier von einem sogenannten Funding Gap, das je nach Berechnung unterschiedlich hoch ist und das es zu füllen gilt. Der Legacy Landscapes Fund kann diese Lücke füllen helfen, indem er Staaten die Möglichkeit bietet, ihren internationalen Verpflichtungen im Naturschutz nachzukommen und indem er private Mittel nutzt. Wir liefern einen Weg, das Geld nachhaltig und effizient zu investieren.
Wieviel Geld hat der Fonds zur Verfügung?
Im Moment verfügt er über knapp 90 Millionen Euro, etwas mehr als 80 Millionen kommen vom BMZ über die KfW, der Rest von der Gordon and Betty Moore Foundation. Wir führen derzeit viele Gespräche mit anderen Ländern, mit Philanthropen und Unternehmen. Das gibt uns große Hoffnung, dass wir in der nächsten Zeit mit mehr Mitteln rechnen können, die weit über das hinausgehen, was die KfW im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland bisher überwiesen hat.
Können Sie schon absehen, wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird?
Ich denke, es ist durchaus realistisch, dass wir im nächsten Jahr bei 150 Millionen Euro ankommen und dass es danach linear aufwärts gehen könnte. Im Prinzip sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Unser Ziel ist ein Stiftungsfonds von einer Milliarde Dollar. Damit würde der LLF dann zu den größten und bedeutendsten Naturstiftungen weltweit gehören. Wir wollen mindestens 30 Schutzgebiete über einen Zeitraum von 15 Jahren und mehr mit jeweils einer Million Euro pro Jahr fördern, insgesamt mindestens 60.000 Quadratkilometer. Das entspricht einer Fläche, die doppelt so groß ist wie Belgien. Geld ist hier ein wichtiger Faktor, aber es geht beim LLF um weit mehr als Finanzmittel.
Worum geht es noch? Was wollen Sie zusätzlich bewirken?
Setzten wir auf schiere Größe, würden wir meiner Ansicht nach eine riesige Chance verspielen. Denn durch das Zusammenführen verschiedener Akteure können wir uns auch über den besten Weg zum Erhalt von Biodiversität und den Stellenwert von Schutzgebieten austauschen. Wir können ganz anders zusammenarbeiten, gemeinsam lernen, Lösungen finden, Wissen bündeln und versuchen, diese best practices zu streuen und weiterzugeben. Wir brauchen also beides: Größe, einfach weil es wichtig ist, mehr Gebiete nachhaltig zu schützen, aber auch Lernen und Wissen verbreiten, eine Kultur der Gemeinsamkeit, des „an-einem-Strang-Ziehens“ entwickeln. Wenn wir das schaffen, wird der LLF zu einem wirklich maßgeblichen Instrument. Dann erreichen wir eine neue Dimension im Naturschutz. Und genau das ist unser Ziel.
Eine Art Wissensbroker im Naturschutz?
Genau. Lösungen vor Ort mit der lokalen Bevölkerung entwickeln, schauen, was funktioniert und das in die internationale Debatte einspeisen. Darin sehe ich eine große Aufgabe für den LLF. Wir wollen eine lernende Organisation sein.
Haben Sie nicht die Befürchtung, dass private Akteure den LLF nutzen werden, um green washing zu betreiben?
Wir arbeiten gerade an einem sorgfältigen Prozess zur Prüfung von Unternehmen, die sich am LLF beteiligen möchten, an einem sogenannten „Due Dilligence Process“. Es ist wichtig, dass wir hier klar und transparent sind. Damit vermeiden wir green washing.
Der Fonds ist gegründet, er wird dieser Tage der Öffentlichkeit vorgestellt. Was steht als nächstes an?
Abgesehen davon, dass wir noch viel Aufbauarbeit ganz praktischer Art leisten müssen – Büro finden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anstellen etc. – geht es jetzt vor allem um die Pilotgebiete, in denen wir mit unserer Arbeit beginnen werden. Wir haben sieben Kandidaten auf drei Kontinenten, die wir gerade prüfen: vier in Afrika, zwei in Asien und einer in Lateinamerika. Das sind Central Cardamom Mountains Nationalpark in Kambodscha, Gunung Leuser Nationalpark in Indonesien, Odzala-Kokuoa Nationalpark in der Repubulik Kongo, North Luangwa Nationalpark in Sambia, Geonarezhou Nationalpartk in Simbabwe, Iona Nationalpark in Angola und Madidi Nationalpark in Bolivien. Danach formulieren wir eine öffentliche Ausschreibung, auf die sich weitere Naturschutzgebiete bewerben können, wahrscheinlich Anfang kommenden Jahres. Die Arbeit wird jetzt zügig vorangehen.
Der LLF ist auf Initiative Deutschlands hin gegründet worden. Müsste der Fonds nicht viel internationaler werden, um die von Ihnen beschriebenen Ziele zu erreichen?
Auf jeden Fall. Der Impuls kam aus Deutschland. Das war ein großartiger erster Schritt. Das BMZ und die KfW haben das Projekt mit viel Mut angeschoben. Um aber langfristig erfolgreich zu sein, muss der Fonds auf eine breite Basis gesetzt werden – zu einem globalen Instrument heranwachsten.
Was reizt Sie persönlich an der Aufgabe?
Für mich ist der Posten beim LLF ein Traumjob, eine einmalige Gelegenheit. Ich bin seit mehr als 20 Jahren im Naturschutz tätig und kann Vieles einbringen, was ich an Erfahrungen vor allem auch im Ausland gesammelt habe. Einen neuen, vielversprechenden Fonds aufzubauen, ist deshalb äußerst reizvoll für mich. Aber jenseits meiner persönlichen Ambitionen bin ich auch absolut überzeugt von dem partnerschaftlichen Konzept. Ich glaube, damit können wir neue Standards setzen. Und die brauchen wir ganz dringend. Denn es steht mittlerweile außer Zweifel, dass wir als Menschheit nur eine Zukunft haben, wenn wir aufhören, auf Kosten der Natur zu wirtschaften. Der LLF kann und wird hier seinen Beitrag leisten.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 19. Mai 2021, aktualisiert am 22. Mai 2023.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und nachhaltig nutzen
Der Verlust der biologischen Vielfalt nimmt zu, dabei ist sie Grundlage unseres Lebens – und diese wird gerade in rasantem Tempo zerstört. Schätzungen zufolge haben sich 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme verschlechtert oder werden nicht nachhaltig genutzt. 75 Prozent der genetischen Vielfalt landwirtschaftlicher Kulturen gingen seit 1990 verloren. Mehr als die Hälfte der Regenwälder wurde für die Palmöl-, Agrartreibstoff-, Futtermittel- und Fleischproduktion bereits vernichtet. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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