Herrenlose Fischernetze verschmutzen die Ozeane und sind als Treibgut an Stränden auf der ganzen Welt zu finden. Madeleine von Hohenthal und Benjamin Wenke bergen sie zusammen mit Meeresschutzorganisationen und fertigen daraus Armbänder und weitere Produkte. Ihr Unternehmen Bracenet wurde mit dem KfW Award Gründen Sonderpreis Social Entrepreneurship ausgezeichnet.
Video: Wie Bracenet die Meere von Geisternetzen befreien möchte (KfW Bankengruppe/n-tv).
Von der Alster weht eine frische Brise über den Jungfernstieg. Zwischen den Läden für Kosmetik oder Smartphones sticht der alte Backsteinbau des Hamburger Kunsthauses hervor. Hundert Jahre alte, knarrende Treppen führen zu den Räumen von Bracenet.
Benjamin Wenke reibt sich die Augen. Er ist vor Kurzem Vater geworden, und die Nächte sind kurz. Es lässt ihn an die Anfänge von Bracenet denken: „Zusammen mit meiner Frau Madeleine habe ich 2015 gegründet. Wir haben das alles nach Feierabend aufgebaut und damals noch viel weniger geschlafen als jetzt“, sagt er lachend.
Wenke erzählt von der Reise, auf der alles begann. Als Backpacker waren sie auf Sansibar und sind dort viel getaucht. Unter Wasser und bei Spaziergängen am Strand stießen sie immer wieder auf ausgediente Netze. Fischer verlieren sie von ihren Booten. Oder sie werden absichtlich versenkt, weil die Entsorgung bezahlt werden muss.
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Unter anderem bergen Meeresschutzorganisationen die Netze. Bracenet finanziert die Fahrten mit einem Teil der Erlöse.
Gefährlicher Müll im Meer
Viele Lebewesen sterben in den großen Knäueln aus Kunststoffschnüren. Als sogenannte Geisternetze können sie jahrhundertelang umhertreiben, ohne sich zu zersetzen. Und jedes Jahr kommen bis zu eine Million Tonnen Fischernetzmaterial hinzu. „Das hat uns so beschäftigt, und wir haben die ganze Zeit überlegt, was wir dagegen tun können. Die Netze sind stabil und haben schöne Farben, vielleicht könnte man etwas Neues daraus machen?“ Vor dem Rückflug verschenkten die beiden Urlauber ihre Kleidung und füllten die großen Rucksäcke stattdessen mit den gefundenen Fischernetzen. Bei der Gepäckkontrolle am Flughafen sorgte das für ungläubige Blicke und einige Fragen.
Zu Hause sah sich das Paar die Struktur der Netze genau an. Wie sind die Maschen miteinander verbunden, wie lang die Stränge, und wie kriegen wir die Knoten da raus? Wochen des Experimentierens folgten. Mit einem Crème-brulée-Brenner bearbeiteten sie die festen Knoten. Dann war klar: „Wir machen Armbänder und lassen die Knoten drin. Das wird unser Markenzeichen!“
Parallel entstanden der Name Bracenet und ein Logo. Eine eigene Website ging online, um über Geisternetze aufzuklären und die Armbänder als ein Symbol für den Schutz der Meere vorzustellen. Wenke und von Hohenthal nahmen Kontakt auf zu Organisationen, die überall auf der Welt Netze bergen. Sie durften mitfahren und schnitten etliche Netze los, die sich an Wracks im Mittelmeer verfangen hatten.
KfW Award Gründen
Der KfW Award Gründen 2020 zeichnete im November 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus. Außerdem wurden zwei Sonderpreise vergeben. Bewerbungen für den neuen Wettbewerb können ab 1. April 2021 eingereicht werden.
Mehr InformationenAufbau einer Marke
Nach zwei Jahren nahm das Projekt so viel Raum ein, dass beide ihre Jobs kündigten, um sich dem eigenen Unternehmen zu widmen. Benjamin Wenke erinnert sich: „Wir haben ganz klein angefangen, mit ein bisschen Erspartem. Es gibt viel Unterstützung für Gründer, die uns sicher auch geholfen hätte. Aber wir wollten einfach loslegen, statt Zeit mit Businessplänen zu verbringen. Wir hatten Lust, etwas mit den eigenen Händen zu tun.“
Seit dem Start setzen die Gründer auf eine starke Öffentlichkeitsarbeit, verzichten auf bezahlte Anzeigen und buchen auch keine Influencer. Das funktioniert. Prominente wie Bill Kaulitz oder der Schauspieler Hannes Jaenicke haben über Bracenet berichtet und so die Marke weiter bekannt gemacht. Das Material erhält das Unternehmen von den Partnern Healthy Seas und Ghost Diving. Aus bis zu 50 Metern Tiefe bergen die Organisationen die Netze. Bracenet spendet einen Teil der Erlöse, um die Fahrten zu finanzieren. Doch auch Privatpersonen können gefundene Netze über ein Formular auf der Website melden.
Heute beschäftigt Bracenet 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und arbeitet mit Werkstätten der Lebenshilfe zusammen. Es gibt Armbänder, Ringe, Hundeleinen und Schlüsselanhänger aus den upgecycelten Fischernetzen. „Als wir unser Team vergrößern mussten, hat uns überrascht, dass sich extrem gut ausgebildete Leute beworben haben. Viel mehr Menschen möchten heute eine sinnvolle Tätigkeit statt Geld und Dienstwagen. Einige arbeiten einen Teil der Zeit in der Fertigung und beschäftigen sich ansonsten mit politischen Rahmenbedingungen und Gesetzen, die das Versenken von Müll unter Strafe stellen“, berichtet Benjamin Wenke.
Auch die Gründer wollen mehr: So wurde durchgesetzt, dass ihre Produkte, die viele Fluggesellschaften an Bord verkaufen, nicht in Plastik verpackt werden. In einem Projekt mit Lufthansa prüfen sie, ob die Taschen in den Sitzen oder gar die Sitze selbst aus recycelten Fischernetzen hergestellt werden können. Immer öfter beraten sie nun Unternehmen, um deren Produkte und Prozesse nachhaltiger zu gestalten.
Seit der Gründung hat Bracenet fünf Tonnen Geisternetze verarbeitet. Benjamin Wenke zeigt auf sein buntes Bracenet: „Die Meere plastikfreier zu machen ist unsere Vision. Und auch wenn das noch ein langer Weg ist, leisten wir schon jetzt einen relevanten Beitrag.“
Auf KfW Stories veröffentlicht am 3. Dezember 2020.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen
Die Menschheit lebt seit Langem über ihre ökologischen Verhältnisse. Dies gilt in besonderem Maße für die Industrieländer und die wachsenden Ober- und Mittelschichten in vielen Schwellenländern. Der Wandel zu einer Wirtschafts- und Lebensweise, die die natürlichen Grenzen unseres Planeten respektiert, kann nur gelingen, wenn wir unsere Konsumgewohnheiten und Produktionstechniken umstellen. Dazu sind international gültige Regeln für Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz wichtig. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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