Der Bausektor ist der größte Umweltverschmutzer der Welt. Die Herstellung von Baumaterial verbraucht enorme Ressourcen, gleichzeitig wird viel weggeworfen – dies macht 60 Prozent des weltweiten Abfallaufkommens aus. Concular führt das Material zurück in den Kreislauf und revolutioniert damit die Branche. Das Stuttgarter Start-up wurde dafür mit dem KfW Award Gründen ausgezeichnet.
Concular
Landessieger Baden-Württemberg beim KfW Award Gründen 2021 (Quelle: KfW/n-tv)
Ein grauer Wintertag in Berlin. Dominik Campanella und Annabelle von Reutern nehmen ihr nächstes Projekt in Augenschein: Ein nüchternes Bürogebäude aus den 1970er-Jahren. Alle Schreibtische, Schränke und Grünpflanzen sind ausgeräumt. Demnächst soll der Komplex umgebaut werden, ein Teil wird abgerissen. Mit einem Lasermessgerät gehen sie durch verwaiste Treppenhäuser und Räume mit dunklem Teppich. Hier messen sie Fenster aus, beurteilen den Zustand der Heizkörper, zählen die Deckenleuchten. Diese Daten und Fotos geben sie in eine eigens dafür entwickelte Smartphone-App ein.
Digitale Materiallager
Dominik Campanella erläutert das Vorgehen: „Wir digitalisieren den Bestand. Vieles kann vor dem Abriss ausgebaut werden, die genormten Fenster hier zum Beispiel sind erst ein paar Jahre alt und verlieren nur wenig an Wert. Wir bieten dieses gebrauchte Material mit einer entsprechenden Garantie auf dem Markt an.“
Zusammen mit drei weiteren Personen hat er Concular 2020 gegründet. Das Unternehmen setzt sich für eine Kreislaufwirtschaft in der Baubranche ein. Derzeit wird nur ein Prozent allen verbauten Materials wiederverwendet. Der übliche Weg ist die Entsorgung. Unmengen an Holz, Kunststoff, Fenster und Kacheln landen im Müll. Das ist umso befremdlicher, wo doch andere Bauvorhaben dringend auf diese Baustoffe angewiesen ist.
Per Match zum Material
Concular hat ein Portal entwickelt, um Angebot und Nachfrage zusammenzuführen. In der Online-Datenbank ist das vorhandene Material eingepflegt. Registrierte Nutzerinnen und Nutzer finden es im Bestand oder werden benachrichtigt, wenn ihre gewünschte Ware eintrifft. Zu diesem Zeitpunkt muss sie noch nicht einmal ausgebaut sein. Denn durch die frühzeitige Vermarktung kann alles, was in einem Gebäude ausgebaut wird, direkt zur neuen Baustelle geliefert werden. Das spart Lager- und Transportkosten.
Da aufgrund der Pandemie weltweit die Lieferketten stocken, ist die verlässliche Verfügbarkeit der Ware ein großer Vorteil. Doch nicht nur Materialsuchende profitieren. Auch die herstellenden Unternehmen, die ebenfalls unter Lieferengpässen oder immer teurer werdendem Rohmaterial leiden, können „ihre“ Baustoffe zurückkaufen, um sie aufzubereiten. Das ist zum Beispiel bei Gipskartonwänden der Fall. „Gips wird immer wertvoller. Er entsteht bei der Verstromung von Kohle. Doch da weniger Kohle abgebaut wird, gibt es auch immer weniger Gips. Der Bedarf ist aber gleichbleibend hoch. Daher nehmen immer mehr Erzeuger:innen die Wände gern zurück, um sie dann recycelt wieder auf den Markt bringen“, sagt Dominik Campanella.
Selbst für Rückbau- und Abrissunternehmen ist die Zusammenarbeit von Nutzen. Sie haben durch Concular einen zusätzlichen Materialabnehmer und reduzieren damit die Menge der Baustoffe, die sie kostenpflichtig auf Deponien oder in Heizkraftwerken entsorgen müssen.
Den größten Gewinn jedoch macht zweifelsfrei die Umwelt – die Wiederverwendung schont Ressourcen und das Klima.
Nachhaltigkeit wird Vorschrift
Doch überzeugen die Umweltschutz-Argumente auch Bauherren, Planungs- und Architekturbüros? „Sie müssen auf jeden Fall umdenken!“, sagt Architektin Annabelle von Reutern und weist auf die Klimaziele der Europäischen Union und den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung hin. Schon jetzt sind für viele Bauvorhaben detaillierte Nachhaltigkeitsberichte ( ESG-Reports) erforderlich, und in manchen Städten wird ohne eine zumutbare CO2-Bilanz erst gar keine Baugenehmigung erteilt. In Berlin legt das neue Abfallwirtschaftskonzept sogar fest, dass in öffentlichen Neubauten 30 Prozent Recyclingmaterial verwendet werden muss. Und nicht nur in der Hauptstadt wird Second Hand dadurch aufgewertet und "Circular Economy" zum Standard – auch die EU-Taxonomie sieht diesen Anteil ab 2023 vor.
Concular ist für die Planer:innen nicht nur eine Möglichkeit, an das nun vorgeschriebene Material zu gelangen, sie erhalten damit auch detaillierte Nachweise für die Substitution. Zukünftig wird dies noch wichtiger, denn die Europäische Union beabsichtigt auch, bei Gebäuden ab 3.000 Quadratmetern einen Ressourcenpass einzuführen, der die sogenannte „graue Energie“ beziffert. Das ist die Energie, die für die Herstellung der außen und innen verwendeten Materialien aufgewendet werden musste.
Bauen im Bestand
Annabelle von Reutern, die als Head of Business Development die Expansion von Concular vorantreibt, bedauert, dass der Fokus auf neuen Bauten liegt. „Das hat mit dem fehlenden Wohnraum, der schnell hochgezogen werden soll, zu tun, aber auch mit dem spekulativen Markt. In Städten lassen Bestandshalter:innen Häuser verfallen, bis eine Abrissgenehmigung erteilt wird und Platz macht für eine lukrative Immobilie.“ Sie vermisst die Wertschätzung im Umgang mit dem Bestand. „So viel wurde im Krieg zerstört. Und nun werden wieder etliche Gebäude, die in den letzten sechzig Jahren entstanden sind, niedergemäht. Doch sie sind Teil der Baukultur und wir sollten sie bewahren.“
Von Reutern ist Architektin und hat viele Jahre selbst Häuser entworfen. Ihre Haltung zu dieser Arbeit hat sich jedoch geändert. Mitreißend erzählt sie von ihrem Ansatz, dass ausschließlich bereits vorhandene Materialien die Basis bilden sollen für die Planung und Umsetzung neuer Vorhaben: „ Form follows Verfügbarkeit“ bringt sie es auf den Punkt.
KfW Award Gründen
Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.
Mehr erfahrenDass dieses Prinzip möglich ist, zeigt ein Pilotprojekt in Berlin-Neukölln: Auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei entsteht das " Circular House". Es ist zu großen Teilen aus Sekundärmaterial gebaut und bietet bezahlbare Wohnungen, Räume für Veranstaltungen und Büros. Eines davon wird passenderweise der zukünftige Firmensitz von Concular. Das Start-up wächst, 20 Mitarbeitende gehören zum Team. Im letzten Jahr haben sie rund vierzig Gebäude in Deutschland digitalisiert und die dort eingebrachten Materialien vermarktet. 2022 werden sich die Projekte verdoppeln, erste Aufträge aus der Schweiz und Österreich sind hinzugekommen.
„Concular ist mittlerweile gut bekannt. Mit unserer Lösung haben wir frühzeitig einen Nerv getroffen. Das rüttelt die Branche ganz schön auf! Wir verändern etwas, weil wir ganzheitlich denken und achtsam mit den Ressourcen umgehen. Und so wünsche ich mir die Zukunft des Bauens“, sagt Annabelle von Reutern.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 28. Februar 2022, aktualisiert 18. Juni 2023.
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