Raus aus der Tabuzone, rein in den Eventbereich: Das Hamburger Unternehmen Goldeimer betreibt in Deutschland Aufklärungsarbeit mit Komposttoiletten, um weltweit mehr Menschen Zugang zu sanitärer Versorgung zu verschaffen. Dafür wurde Goldeimer als Landessieger für Hamburg mit dem KfW Award Gründen 2018 ausgezeichnet.
Vom Festival aufs Treppchen
Wie das Unternehmen „Goldeimer“ sich von einem Projekt an der Universtät Kiel zum Landessieger beim KfW Award Gründen 2018 entwickelt hat (KfW Bankengruppe/n-tv).
Mehr als zwei Milliarden Männer, Frauen und Kinder auf der ganzen Welt haben keine Möglichkeit, bei Bedarf eine Toilette aufzusuchen. Büsche, Felder, Wegesränder sind die unattraktive Alternative, Bäche und Gewässer werden dabei mit Keimen verschmutzt. Dass das Fehlen sanitärer Anlagen nicht nur unangenehm ist, sondern auch krank macht, erfuhr der damalige Geografiestudent Malte Schremmer auf einer Projektreise durch Ghana und Burkina Faso 2012 am eigenen Leib: Eine Magen-Darm-Erkrankung streckte ihn so effektiv nieder, dass er vorzeitig nach Deutschland zurückgeflogen werden musste, um wieder auf die Beine zu kommen. Jeder dritte Mensch weltweit ist von lebensgefährlichen Durchfallerkrankungen mangels sanitärer Anlagen bedroht. 500.000 Kinder sterben jährlich daran. Sie können nirgendwohin fliegen, um gesund zu werden. Das Toilettenthema hatte Malte Schremmer gepackt.
Zurück in Deutschland schrieb er seine Bachelorarbeit über alternative Sanitärsysteme und suchte nach Möglichkeiten und Mitstreitern, um das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken. Denn hierzulande sind Toiletten zwar selbstverständlich, was aber mit den Fäkalien geschieht, dass sie auch hier im Trinkwassersystem landen, ist selten einen Gedanken wert. Von den dramatischen Zuständen in Entwicklungsländern ganz zu schweigen. So genau will man es oft auch gar nicht wissen, denn das Thema ist ein Tabu. Und genau hier setzt Goldeimer an, wie Malte Schremmer erklärt: „Keine andere Erfindung hat in den vergangenen zweihundert Jahren mehr Menschenleben gerettet als das Klo. Leider weiß das kaum jemand mehr. Wir wollen das ändern und Aufmerksamkeit darauf lenken.“
Zu den Personen
Rolf Schwanderer (r.), Malte Schremmer, Johannes Manthey, Hannes Popken und Jan Lange gründeten 2014 den „Goldeimer“ als Tochter des gemeinnützigen Unternehmens Viva con Agua, Enno Schröder (l.) stieß später dazu.
2013 zimmerte Malte Schremmer zusammen mit Freunden zwei Komposttoiletten und stellte sie probeweise auf einem Musikfestival in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt auf. Komposttoiletten funktionieren mit Holzspänen statt mit Wasser oder Chemie. Aus dem Abfall lässt sich nährstoffreicher Humusboden gewinnen. Mission Compostable statt Chemieklo: Die Idee kam an bei den Musikfreunden! Und machte Mut für den nächsten Schritt. 2014 gründete Malte Schremmer gemeinsam mit Johannes Manthey, Hannes Popken, Jan Lange und Rolf Schwanderer das Social Business Goldeimer als hundertprozentige Tochter von Viva con Agua, einem gemeinnützigen Unternehmen, das sich weltweit für den Zugang zu sauberem Trinkwasser einsetzt. Die Unternehmensziele von Goldeimer sind erstens, in Deutschland nachhaltige Sanitärsysteme zu etablieren und über die Bedeutung von Toiletten aufzuklären, und zweitens, mithilfe von Fundraising Sanitärprojekte der Welthungerhilfe zu kofinanzieren – für mehr Toiletten und weniger Krankheiten weltweit.
Aufklärung also. Wie aber kommt man mit den Leuten über ein Tabuthema ins Gespräch – leise, verdruckst und verschämt hüstelnd? Nein, war den Gründern sofort klar: Um der Sanitärversorgung Wertschätzung zu verschaffen, müssen Wumms und gute Laune her, Spaßaktionen und Infotainment. Das Toilettentabu sollte auf humorvolle Art durchbrochen werden, erlesene Fäkalscherze auf jedem Niveau ausdrücklich erwünscht. Open-Air-Events und Festivals stellten sich als das ideale Umfeld für die Öffentlichkeitsarbeit heraus. Hier ist das Publikum, hier ist die Reichweite. Und: Hier weiß man um den Wert von sauberen Toiletten! Seit 2014 tourtGoldeimer vom Mai bis September mit inzwischen 80 Mietkomposttoiletten durch Deutschland. Von Schleswig-Holstein bis nach Bayern, vom Hurricane Festival bis zum Katholikentag. Etwa zwanzig Ansprechpartner leisten Aufklärungsarbeit rund um die gar nicht so stillen Örtchen. Denn „zentraler Bestandteil unserer Arbeit ist Kommunikation“, erklärt Goldeimer-Mitgründer und Co-Geschäftsführer Enno Schröder. „Unsere Gewinne fließen nach Abzug aller Kosten vollständig in die Finanzierung von Sanitärprojekten im Ausland. Über die konkrete Mittelverwendung entscheiden die Experten von Viva con Agua und der Welthungerhilfe. Denn unser Ziel ist es nicht, Komposttoiletten zu exportieren. Es ist immer besser, lokal angepasste Lösungen vor Ort zu schaffen.“
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Nachhaltig
Die Toiletten von Goldeimer benötigen weder Wasser noch Chemie. Die gesammelte Biomasse kann zu fruchtbarem Humus kompostiert werden.
KfW Award Gründen
Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.
Mehr erfahrenUm den Fundraisingsektor zu stärken, nahm Goldeimer 2016 als zweites Standbein das Lizenzgeschäft neu auf. Zunächst mit Recyclingtoilettenpapier, das in Drogerien und online verkauft wird und ebenfalls mit den Nutzern kommuniziert: Aufgedruckte Sprüche wie „Dieses Klopapier baut andernorts Klos“ bringen die sanitärpolitischen Botschaften an den Mann und die Frau. Innerhalb der ersten zwei Jahre konnten 500.000 Packungen verkauft werden, weitere Lizenzprodukte wie ein „Klo to go“ für Campingfreunde und der „Klocker – für die gesunde Hockposition“ bringen seit Sommer 2018 zusätzlichen Schwung in das Geschäft. Und da geht noch mehr, gemäß dem Firmenmotto „Alles fürs Klo – Klos für alle“.
Neben den Gründern arbeiten heute fünf weitere feste Mitarbeiter für Goldeimer. Zusätzlich zu den Festivalsaisonkräften hilft eine große Unterstützerszene mit bis zu 250 Ehrenamtlichen, den weltweiten Toilettennotstand mit Kampagnen in die Öffentlichkeit zu tragen. Bei Gute-Laune-Aktionen wie der #kickshit Challenge soll eine Rolle Klopapier möglichst lange mit dem Fuß in der Luft gehalten werden. Auf „Open Defecation“-Events harren Unterstützer stundenlang mit heruntergelassener Hose auf frei im Stadtleben stehenden Toilettenschüsseln aus. Das Goldeimer-Magazin bietet faszinierende „64 Seiten nur über Scheiße“. Auch im Blog wird nichts ausgelassen. Denn es ist ja so, fasst Malte Schremmer zusammen: „Der Stuhlgang ist ein völlig normaler Teil unseres Lebens, lasst ihn uns auch so behandeln – für eine würdige ökologische Sanitärversorgung weltweit.“
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 30. Oktober 2018
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 6: Wasser und Sanitärversorgung für alle
Ohne Wasser kein Leben! Wir benötigen es als Trinkwasser, aber auch in der Landwirtschaft, um Nahrungsmittel zu produzieren. Die Vereinten Nationen haben daher 2008 den Zugang zu sauberem Trinkwasser als Menschenrecht anerkannt. Dennoch müssen 748 Millionen Menschen noch immer ohne sauberes Trinkwasser auskommen. Nach Schätzungen sterben deswegen an einem einzigen Tag weltweit 5.000 Kinder. 2,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sanitärer Grundversorgung. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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