Zarah Bruhn und Maximilian Felsner vermitteln Flüchtlinge mit dem Modell der Non-Profit-Zeitarbeit an Unternehmen. Ihr 2016 in München gegründetes Start-up Social-Bee gGmbH versteht sich als Deutschlands erster Integrationsdienstleister für Flüchtlinge. Diese erhalten so eine Chance, langfristig im regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Der KfW Award Gründen 2018 würdigt das Konzept mit der Auszeichnung als Landessieger Bayern.
Angekommen
Wie Social-Bee Geflüchteten hilft, einen Job zu finden (KfW Bankengruppe/n-tv).
München, Herbst 2015: Am Hauptbahnhof der bayerischen Landeshauptstadt kommen beinahe täglich Tausende von Flüchtlingen an, die sich über die sogenannte Balkanroute nach Deutschland durchgeschlagen haben. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle erreichen an einem Tag nahezu 12.000 Menschen die Stadt. So rollt in jenen Tagen auf München in kürzester Zeit eine logistische wie auch menschliche Herausforderung zu, die ohne den unermüdlichen Einsatz ehrenamtlicher Helfer kaum zu bewältigen ist. Die Bilder der erschöpften, aber auch umsorgten Flüchtlinge auf den Bahnsteigen senden die Medien in alle Welt. Sie prägen das Bild eines weltoffenen Deutschlands und den Begriff der Willkommenskultur weit über die Grenzen Münchens hinaus.
Auch die Studenten Zarah Bruhn und Maximilian Felsner engagieren sich. Felsner, zu jener Zeit Philosophiestudent, erinnert sich an ein „Gefühl von Verantwortung und Solidarität“, das ihn zur Mithilfe am Münchener Hauptbahnhof bewegte. Die BWL-Studentin Zarah Bruhn hatte sich während eines Auslandssemesters in Stockholm mit einer aus Syrien geflüchteten Kommilitonin angefreundet und sich bereits in Schweden ehrenamtlich eingesetzt.
Doch die Gedanken von Bruhn und Felsner reichen frühzeitig über den Tag hinaus: „Wir haben uns gefragt: Was kommt nach der ersten Hilfe?“, erklärt Social-Bee-Gründer Felsner. „Wir wollten etwas schaffen, was nachhaltig zur Integration beiträgt.“ Mehr und mehr kristallisiert sich für die beiden Mittzwanziger heraus, dass eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge ohne eine langfristige Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht gelingen kann. Schließlich landen 80 Prozent der Flüchtlinge in der Langzeitarbeitslosigkeit, argumentiert Bruhn. Und Felsner ergänzt: „Wir waren überzeugt, dass die Strukturen am Arbeitsmarkt für eine nachhaltige Integration nicht ausreichen.“
Zwar bestehe generelles Interesse der Unternehmen an einer Beschäftigung von Flüchtlingen, gleichzeitig aber auch große Unsicherheit bezüglich des bürokratischen Aufwands und der Qualifikation der Bewerber. Fehlende berufliche Referenzen und geringe Sprachkenntnisse erschweren auf der anderen Seite vielen Flüchtlingen die Jobsuche. Die Folge: Sie werden erst gar nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen.
2016 werden die Überlegungen konkret: Bruhn und Felsner heben mit privatem Kapital das gemeinnützig orientierte Unternehmen Social-Bee aus der Taufe. Das Start-up verbindet das klassische Instrument der Zeitarbeit mit praktischer Integrationshilfe. Die beiden Gründer und ihre zwanzig Mitstreiter ebnen Flüchtlingen den Weg in den Arbeitsmarkt und verschaffen ihnen so eine Perspektive in der Gesellschaft. „Zeitarbeit wird oft eher als notwendiges Übel in der Arbeitsmarktpolitik angesehen“, weiß Felsner um das nicht immer positive Image der Branche.
Anders bei Social-Bee: Für die Münchener Jungunternehmer ist Non-Profit-Zeitarbeit das ideale Instrument, um Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten und Unternehmen die Beschäftigung Geflüchteter zu erleichtern. Denn das Konzept reicht weit über eine reine Arbeitnehmerüberlassung hinaus. Social-Bee hilft den Geflüchteten umfassend: Sprachkurse, berufsbezogene Weiterbildungen und auch sozialpädagogische Betreuung gehören zum Angebot des Integrationsdienstleisters.
Über eine enge Zusammenarbeit mit Organisationen der Flüchtlingshilfe, sozialen Einrichtungen und öffentlichen Trägern wählt Social-Bee geeignete Bewerber und Bewerberinnen aus. In persönlichen Gesprächen und einem mehrstufigen Auswahlverfahren klären die Münchener dann Sprachkenntnisse, Interessen, Kompetenzen und Verfügbarkeit der potenziellen Mitarbeiter ab. Das Ziel ist, dass die Flüchtlinge nach rund einem bis eineinhalb Jahren in Ausbildungsverhältnisse oder Festanstellungen übernommen werden. Bis zu 200 Flüchtlinge wollen Bruhn und Felsner im kommenden Jahr so auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet haben. Neben München ist mit Stuttgart ein zweiter Standort eröffnet.
Social-Bee bezahlt seine Mitarbeiter tarifgebunden. Als Zeitarbeiter konnten sie bereits an Konzerne wie die Deutsche Post AG, den Maschinenhersteller Zeppelin Baumaschinen oder die weltweit operierende Würth Gruppe überlassen werden. Doch auch Mittelständler wie die Münchener VollCorner Biomarkt GmbH haben bereits Erfahrungen mit den Jungunternehmern gesammelt. Die Biomarktkette betreibt 18 Märkte in und um München und hat regelmäßig Bedarf an neuen Mitarbeitern.
KfW Award Gründen 2018
Der KfW Award Gründen (ehemals GründerChampions) zeichnete im Oktober 2018 die 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.
Mehr erfahrenJürgen Hörmann, Personalleiter des Biomarktfilialisten, verfügt bereits über einen reichen Erfahrungsschatz in der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen. „Wir stellen regelmäßig jugendliche Flüchtlinge als Auszubildende ein. Durch die Zusammenarbeit mit Social-Bee haben wir nun erstmals auch erwachsene Flüchtlinge ins Unternehmen eingebunden.“ Seit November 2017 kooperiert die VollCorner Biomarkt GmbH mit Social-Bee. „Aktuell beschäftigen wir zehn von Social-Bee vermittelte Zeitarbeiter. Das Konzept erlaubt uns, ohne Risiko die Mitarbeiter kennenzulernen und zu sehen, wie sie sich entwickeln“, lobt Hörmann. Drei Flüchtlinge hat der Einzelhändler bereits in eine Festanstellung übernommen.
Auch überregional schlug Social-Bee bereits hohe Wellen. Mit einer aufsehenerregenden Plakatkampagne, die gemeinsam mit einer renommierten Werbeagentur für die besonderen Kompetenzen der Flüchtlinge warb. „Wir wollten die Flüchtlinge selbst zu Wort kommen lassen“, so Gründer Felsner. Der provokative Gedanke: Die auf der beschwerlichen und gefährlichen Flucht gesammelten Erfahrungen zeugen auch von den Stärken der Menschen. In der Kampagne beschrieben sich die Flüchtlinge etwa als stressresistent, teamfähig oder zielorientiert – allesamt Fähigkeiten, die sie auf der Flucht unter Beweis gestellt haben und die auch auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Nicht allen gefiel ein derart offensiver Umgang mit den Flüchtlingsschicksalen. Doch das Ziel, öffentliche Aufmerksamkeit für die Probleme der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, erreichte die Kampagne allemal.
Und Social Bee setzte mit der plakativen Werbung einen Kontrapunkt zur öffentlichen Diskussion, in der Flüchtlinge mehr und mehr als Belastung für die Gesellschaft gesehen werden. Auch Maximilian Felsner kennt die wachsenden Vorbehalte aus seiner täglichen Arbeit – allerdings selten bei den Unternehmen. Ohnehin ist er sicher, dass viele der freiwilligen Helfer von 2015 immer noch engagiert sind: „Sie kommen in der Öffentlichkeit nur nicht mehr zu Wort.“ Umso wichtiger, betont Felsner, dass Unternehmen wie Social Bee unbeirrt ganz alltägliche Hilfe zur Integration leisten.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 23. Oktober 2018
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 4: Bildung für alle
Menschen den Zugang zu Bildung zu verwehren heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht vorzuenthalten – und wichtige Entwicklungschancen für den Einzelnen und die Gesellschaft. Bildung befähigt Menschen, ihre politische, soziale, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation zu verbessern. Weltweit haben 58 Millionen Kinder und 63 Millionen Jugendliche noch keinen Zugang zur Grund- und Sekundarschule. 90 Prozent aller Kinder mit einer Behinderung gehen niemals zur Schule. 781 Millionen Menschen sind Analphabeten. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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