Die eine ist gerade dabei, sich mit dem Verkauf von Schafwolle eine Existenz als Unternehmerin aufzubauen, die andere kombiniert einen Halbtagsjob als Angestellte mit der Arbeit als selbstständige Heilpraktikerin: Mithilfe des Kommunikations- und Innovationszentrums SINNOVA in Offenbach, kurz KIZ, und des Vereins Social Business Women setzen viele Frauen ihre beruflichen Wunschvorstellungen um. Die KfW Stiftung unterstützt das Projekt von Frauen für Frauen.
Ein Leben ohne Schafe ist für Sibylle Ruppersberg kaum mehr vorstellbar. Von Macker, Rambo, Pauline, Alva, Greta und Rapunzel mit den schönen Locken oder Lisa, die als Notfall kam und blieb, erzählt sie so liebevoll wie manche kaum von Familienmitgliedern. Dabei kam sie zu Schafen wie andere zum Rasenmäher: Vor sechs Jahren erwarb die 53-Jährige in Hessen zwischen Sprendlingen und Buchschlag ein 6.000 Quadratmeter großes Grundstück mit zwei Gebäuden in einem Naturschutzgebiet. Wie dem vielen Gras beizukommen sei, überlegte sie laut. Freunde rieten der Tierliebhaberin zu Schafen als Lösung des Problems. Als sie die zum ersten Mal scheren ließ, die Wolle wusch und durch ihre von Arthritis geplagten Hände gleiten ließ, war sie wie elektrisiert: so weich und vor allem so wunderbar wärmend. Eine Wärme, die sie sofort als lindernd empfand. „Wolle wirkt durch ihre Faserstruktur thermisch, regt den Körper zur Durchblutung an und wärmt uns von innen“, schwärmt Sibylle Ruppersberg von der heilsamen Wirkung der Schafwolle.
Empört stellte sie allerdings fest, dass Wolle von Schafen in Deutschland in der Regel einfach vernichtet wird, während sie andererseits für Pullover kostspielig aus Australien importiert und in China verarbeitet wird. Nachhaltigkeit? Klimaschutz? Fehlanzeige! Sie fing an, für Familie, Freunde und Bekannte kleine Herzkissen zu nähen, die sie mit der gewaschenen und zu Vlies gekämmten Schafwolle füllte. Deren Reaktion glich der ihren: Tolle Wärme, gibt’s das auch größer? Auch Hunde und Katzen waren von den natürlich wärmenden Kissen nicht mehr zu vertreiben. Eine Geschäftsidee entstand. Zumal Sibylle Ruppersberg ihre vorigen Berufe als Erzieherin und Leiterin eines physikalischen Labors wegen ihrer gesundheitlichen Probleme nicht mehr ausüben konnte.
Bald standen 80 Bottiche im Garten, in denen die lanolinhaltige Wolle in purem Wasser mehrfach gewaschen wird. Ein professioneller Wollkämmer in Mittelhessen – einer der Letzten seiner Zunft – verarbeitet die Rohwolle zu fünf Zentimeter dickem Vlies. Five Sheep nennt Sibylle Ruppersberg inzwischen ihr Start-up.
Eine private Empfehlung führte die Jungunternehmerin im vergangenen Jahr nach Offenbach ins Gründerzentrum zu den Frauen vom KIZ. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des KIZ beraten, coachen und begleiten Menschen in beruflichen Umbruchphasen seit mehr als zwei Jahrzehnten. Im Jahr 2014 begann das Team um Geschäftsführerin Petra Bünz auch eine von der KfW Stiftung finanzierte Kooperation mit den Social Business Women aus Königstein im Taunus, die bereits an mehreren Standorten im Rhein-Main-Gebiet und in Rostock aktiv waren. „Wir haben uns als Stiftung die Lösung gesellschaftlicher und sozialer Probleme mit ökonomischen Mitteln zum Ziel gesetzt. Die Social Business Women adressieren gemeinsam mit KIZ SINNOVA ein wenig beachtetes Thema – den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen. Somit passen wir prima zusammen und leisten gemeinsam einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit“, sagt Dr. Martina Köchling, Programmdirektorin bei der KfW Stiftung.
„Wir unterstützen Frauen, die eine neue berufliche Orientierung suchen, ob nach Familienpause, Scheidung, Krankheit oder weil sie in der Mitte des Lebens noch mal etwas ganz anderes machen wollen“, fügt KIZ-Chefin Petra Bünz hinzu. Jede Frau wird individuell beraten, ein erstes Gespräch ist kostenlos, für weitere Coachings zu Themen wie Buchführung oder der eigenen Homepage zahlt jede, was sie kann. Auch ein Start- und Bildungskredit nach dem Vorbild von Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus aus Bangladesch, dem Wegbereiter der Mikrofinanzkredite, ist möglich.
„Ich konnte vor Aufregung davor überhaupt nicht schlafen“, berichtet Five-Sheep-Jungunternehmerin Ruppersberg von der Nacht vor der Präsentation ihres Projekts vor einer Jury der SBW, die diese Kredite vergibt. Sie erhielt das Geld und dazu viele sie bestärkende Kommentare und großes Interesse an ihrer Geschäftsidee. „Ich war total überrascht, dass man mich und meine Idee wirklich ernst genommen hat.“ Ein weiteres großes Problem, das Frauen hätten, sagt Bünz. Sie und ihr Team machen den Frauen Mut, den Schritt in die Selbstständigkeit oder in einen neuen Job zu wagen. „Wenn Frauen wüssten, was sie können, würde die Welt ganz anders aussehen“, sagt sie lachend. Denn die meisten trauten sich oft trotz mannigfaltiger Erfahrungen kaum etwas zu. Biss und Durchhaltevermögen müssen die Gründerinnen allerdings selbst mitbringen und natürlich eine gute Geschäftsidee: „Wir malen keine rosa Wölkchen, wo keine sind. Mut machen wir, aber umsetzen müssen es die Frauen schließlich selbst, wenn auch mit unserer Unterstützung.“
1.100 Frauen sind seit August 2014 zu einem Erstgespräch zur SBW-Kooperationspartnerin KIZ gekommen, 80 Prozent davon gingen in weitere Beratungen, weit mehr als die Hälfte von ihnen hat mittlerweile durch die Unterstützung einen Job gefunden oder ein Unternehmen gegründet. Manche waren zuvor arbeitslos, andere hatten einen Burn-out, verdienten schlecht, waren unglücklich im Job oder litten unter Mobbing. „Keine Frau kommt ohne wirklichen Leidensdruck zu uns“, weiß Bünz.
Christiane Wenzel hat 16 Jahre am Schalter von Swiss Air am Frankfurter Flughafen gearbeitet. Nach einer Änderungskündigung blieb sie drei Jahre zu Hause bei den zwei Töchtern. Als die jüngere Tochter erkrankte, machte sie gute Erfahrungen mit Homöopathie, und langsam reifte in ihr der Entschluss, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu machen. Mit 45 Jahren begann sie die dreijährige Ausbildung und schloss weitere drei Jahre für die klassische Homöopathie an. In dieser Zeit zerbrach ihre Ehe, der Mann zog aus und ihre Praxis in das Offenbacher Reihenhaus ein. Die Töchter wurden flügge, irgendwann war sie allein mit zwei Katzen. „Ich bin aber eher ein extrovertierter Typ, im Reiheneckhaus mit meinen Patienten wurde es mir bald viel zu einsam“, erzählt sie. Über eine Bekannte im Chor erfuhr sie von der Arbeit des KIZ. „Ich brauchte jemanden, der mich unterstützt und stärkt.“ Denn sie war auf der Suche nach einem zweiten Standbein, einem Teilzeitjob, der sie unter Menschen brachte, ihr aber gleichzeitig genug Zeit für die eigenen Patienten ließ. Nach den Beratungen hat sie nun eine Anstellung am Empfang einer physiotherapeutischen Praxis gefunden. Ihren Chef lernte sie ganz informell auf einer Geburtstagsfeier kennen. „Das funktioniert oft so“, sagt Diana Bär, Beraterin im Team des KIZ. Man müsse nur oft genug im eigenen Bekanntenkreis streuen, dass man einen Job suche: „Netzwerken, wo man geht und steht.“
Im Empfangsjob könne Sie nun alle Erfahrungen ihres früheren Berufslebens mit einfließen lassen, sagt die gelernte Hotelfachfrau Wenzel. Zwischen ihrem quirligen Job und den Problemen der eigenen Patienten legt sie mittags ganz bewusst eine längere Pause ein. Sie hat einen Burn-out hinter sich und geht seither deutlich achtsamer mit ihren Ressourcen um. In einem sogenannten Erfolgsteam des KIZ trifft sie sich außerdem, wie auch die meisten anderen Frauen in der Beratung, regelmäßig zum Kaffee und Gespräch außerhalb, um die nächsten Ziele und Schritte im Beruf festzulegen. „Die Begegnung mit dem KIZ war für mich der Türöffner für mein Selbstbewusstsein“, sagt Wenzel.
„Wenn Frauen wüssten, was sie können, würde die Welt ganz anders aussehen.“
Sibylle Ruppersberg von Five Sheep fertigt mittlerweile nicht nur kleine Kissen, sondern individuell angepasste Kniebandagen mit Klettverschluss, die bei Arthrose helfen sollen, Thoraxbinden oder Knöchelkissen, große und kleine Bettdecken und vieles mehr, alles gefüllt mit Schafswolle, die sie auch von anderen Schäfern aus der Umgebung dazukauft, denn längst reicht das Fell der eigenen Tiere nicht mehr aus. Noch vertreibt sie ihre Erzeugnisse nur über das Internet, im eigenen Wohnzimmer oder in Praxen von Physiotherapeuten. Die Zusammenarbeit mit ihnen ist möglich geworden, weil die Bandagen und Auflagen aus lanolinhaltiger Wolle laut Sibylle Ruppersberg inzwischen als medizinische Produkte der Klasse 1 klassifiziert und registriert sind. Ihr Traum ist nun ein alter Zirkuswagen, den sie zum Geschäftsraum auf dem eigenen Areal umbauen möchte.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 19. Februar 2019
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 5: Gleichstellung der Geschlechter
Internationale Studien und Schätzungen belegen: Frauen werden fast überall auf der Welt noch immer benachteiligt und ihrer Rechte beraubt. Die Mehrheit der Armen und der größte Teil aller Analphabeten sind weiblich. Jedes Jahr sterben etwa 300.000 Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt, 99 Prozent von ihnen in Entwicklungsländern. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden mehr als ein Drittel aller Frauen weltweit zu Opfern von körperlicher oder sexueller Gewalt. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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