Impfstoffe oder andere wichtige Güter an schwer zugängliche Orte zu liefern ist aufwendig, unsicher und teuer. Wingcopter hat eine unbemannte Drohne entwickelt, die für humanitäre Zwecke eingesetzt wird. Die KfW zeichnete das Start-up beim KfW Award Gründen 2020 als Landessieger Hessen aus.
Wie Wingcopter mit Drohnen etwa Medikamente in abgelegene Gegenden bringen möchte (KfW Bankengruppe/n-tv).
Jonathan Hesselbarth kommt aus einer Segelfliegerfamilie, seine ganze Kindheit hat er auf dem Flugplatz verbracht. Später ließ er hier selbst gebaute Drohnen steigen und testete die mögliche Zuladung schon mal mit einer Flasche Bier, die er zu Freunden über eine Wiese flog.
Während seines Maschinenbaustudiums traf er auf gleichgesinnte Tüftler und verbrachte viel Zeit in der Akaflieg der Uni. Hier baute er Prototypen von einem Flugzeug, das senkrecht starten und dann vorwärtsfliegen kann.
Mehrere Jahre beschäftigte sich Hesselbarth intensiv mit Material und Technik und entwarf ein Fluggerät mit zwei Metern Spannbreite und vier Rotoren, das er Wingcopter nannte. Das Besondere: Es steigt auf wie eine Drohne, kann in der Luft schweben und innerhalb von Sekunden in den schnellen Gleitflug wechseln. Eine Startbahn wird nicht benötigt, die Landung erfolgt punktgenau. Im Vergleich zu anderen Modellen ist der Wingcopter sehr viel schneller, leiser und fliegt durch die schwenkbaren Rotoren auch bei Wind besonders stabil. Die Erfindung sicherte Hesselbarth durch Patente in mehreren Ländern ab.
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Langjährige Entwicklungsarbeit und ein ausgefeiltes Innenleben steckt in jedem Produkt. Die Technologie ist durch Patente geschützt.
Prototyp mit Potential
Über einen gemeinsamen Freund lernte er Tom Plümmer kennen. Plümmer erzählte ihm von seinem Freiwilligenjahr in Ghana. Im Nachbarhaus seiner Gastfamilie starb ein Baby. Mit schneller medizinischer Hilfe hätte das Kind vielleicht gerettet werden können. Wie wäre es, den Wingcopter für die Lieferung von Medikamenten in schwer zugänglichen Regionen einzusetzen? Die beiden taten sich als Team zusammen. Sie nahmen erste Kontakte zu Hilfsorganisationen auf und stellten ihre Idee vor.
Um bekannt zu werden, griffen sie auch zu ungewöhnlichen Mitteln. So testeten sie die Maximalgeschwindigkeit des Wingcopters. Mit 240 Kilometern pro Stunde Höchstgeschwindigkeit und 120 Kilometern Reichweite sicherten sie sich einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als schnellste Drohne der Welt. Und sie lackierten ein Exemplar mit 24-karätigem Gold und stellten es als die „One Million Dollar Drone“ auf einer Messe in Abu Dhabi vor. Gekauft wurde sie nicht, aber es folgten einige Berichte über die Flugverrückten aus Darmstadt.
Auch Ansgar Kadura las auf Facebook darüber. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen und bewarb sich bei Wingcopter für einen Praktikumsplatz. Nach wenigen Wochen der Mitarbeit beantragte er die EXIST-Förderung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Die bewilligten Gelder ermöglichten es, dass die beiden Entwickler sich und Kadura erstmals ein Gehalt auszahlten – im Jahr 2017 war es dann so weit: Das Trio gründete das Unternehmen Wingcopter als GmbH.
Pilotprojekt in Tansania
Zusammen mit DHL, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) startete Wingcopter ein Projekt in Ostafrika. Ein halbes Jahr lang war Ansgar Kadura vor Ort: „Ukerewe ist eine vorgelagerte Insel im Victoriasee. Rund 400.000 Menschen leben in der Region. Die Fähre ist die einzige Verbindung zum Festland, sie benötigt fünf Stunden für eine Überfahrt. Wenn zum Beispiel ein bestimmtes Gegengift bei einem Schlangenbiss benötigt wird, kann es kritisch werden. Mit der Drohne haben wir in 40 Minuten Medikamente in entlegene Gebiete ausgeliefert“, erzählt er.
In Vanuatu, einem Inselstaat im Südpazifik unterstützte das Start-up das regionale Impfprogramm von Unicef. „Es gibt dort viele Orte, die fast vollständig von Dschungel umgeben sind. Um Kinder zu impfen, machen sich die Krankenschwestern zu Fuß auf den Weg. Die Impfdosen tragen sie in einer Kühlbox auf dem Rücken. Bei bis zu 30 Stunden, die sie unterwegs sind, ist die Kühlkette nicht garantiert. Der Transport mit Drohnen löst das Problem. Sechs Kilo können zugeladen werden und durch das Ablassen mit einer Seilwinde ist die Lieferung auch ohne geeigneten Landeplatz möglich“, sagt Kadura.
Entwicklungsländer haben einen hohen Bedarf an Unterstützung, das führt zu großer Aufgeschlossenheit gegenüber Innovationen. Doch auch in der westlichen Welt kann Wingcopter punkten. So hat das Start-up Corona-Testkits oder Insulin auf Inseln vor Schottland und Irland geflogen. Am Firmensitz in Hessen stellte ihre Drohne Laborproben von Gernsheim nach Darmstadt über 25 Kilometer zu. Diese Lieferflüge waren flexibel wie eine Kurierfahrt, jedoch viel ökologischer. Statt der längeren Autofahrt mit hohen Emissionen verbraucht der ferngesteuerte Wingcopter Strom für 50 Cent.
Finanzielle Schubkraft
Wingcopter beschäftigt nur drei Jahre nach der Gründung mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kürzlich gewann das Start-up einen hoch dotierten Hackathon des BMZ. Mit dem Geld sollen 160 Personen in Malawi geschult und die örtliche Infrastruktur für den Einsatz der Drohnen aufgebaut werden.
Auch das Interesse von Investoren ist enorm. Im Dezember 2019 beteiligte sich ein Multi-Family-Office aus Singapur in einer Finanzierungsrunde mit mehreren Millionen Euro. Nur wenige Monate später wurde der Betrag noch einmal aufgestockt.
Ansgar Kadura, der heute den Servicebereich bei Wingcopter leitet, freut sich über die rasante Entwicklung: „Mit dem frischen Kapital werden wir schnell wachsen und unseren Wettbewerbsvorteil ausbauen können. Drohnen sind für viele Zwecke einsetzbar. Leider gehören auch militärische Anwendungen dazu. Wir hatten viele entsprechende Anfragen, die wir strikt ablehnen. Unsere Drohnen fliegen nach dem Motto ‚Drones for good‘ und für nichts anderes.“
Auf KfW Stories veröffentlicht am 21. Dezember 2020.
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