Äthiopien ist ein Land der Gegensätze. Während in wenigen Großstädten, allen voran die Hauptstadt Addis Abeba, die Wirtschaft floriert, sind in ländlichen Regionen noch immer rund sechs Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Eine neue Eisenbahntrasse – ermöglicht dank Exporten und Know-how aus Europa – soll nun dazu beitragen, diese Ungleichheiten in Äthiopien zu verringern.
Addis Abeba, Äthiopiens pulsierende Metropole, ist seit einigen Jahren Schauplatz des beispiellosen Booms in dem ostafrikanischen Wirtschaftswunderland. Hier lebt eine kleine, aber wachsende Mittelklasse mit zunehmend westlich geprägtem Lebensstil, Kunst und Kultur florieren. Doch die wenig entwickelten ländlichen Gebiete zeichnen ein anderes Bild von Äthiopien. Noch immer hungern hier Millionen Menschen, nur wenige haben Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung.
Dass die rasante wirtschaftliche Entwicklung nicht flächendeckend den Lebensstandard der Menschen verbessert, hat viele Gründe. Einer davon ist Äthiopiens Topografie, ein Sinnbild für die Gegensätze in dem Binnenstaat: Bergregionen mit 4.500 Meter hohen Gipfeln auf der einen, Bodensenken weit unterhalb des Meeresspiegels auf der anderen Seite. Geografische Bedingungen also, die die Mobilität der Bevölkerung erschweren. Das ändert sich jetzt.
Zum ersten Mal entsteht in Äthiopien eine Bahnverbindung von Norden nach Süden – durch eine Bergregion, die bislang besonders schlecht angebunden war. Bei der Stadt Awash, knapp 1.000 Meter über dem Meeresspiegel, zweigt die neue Trasse Richtung Norden von der Strecke ab, die Addis Abeba im Zentrum des Landes mit der Republik Dschibuti im Osten, am Roten Meer, verbindet. Von Awash führt die neue Trasse zur 389 Kilometer weiter nördlich gelegenen Stadt Hara Gebeya bei Weldiya. 1.100 Höhenmeter hat sie dann überwunden. Und mit diesen Metern eine Kluft, die sich bislang infrastrukturell durch Äthiopien zog.
Das Bergland wird nachhaltig erschlossen
Joseph Mbuyi beobachtet für die KfW IPEX-Bank als Büroleiter in Johannesburg den afrikanischen Markt. Für ihn ist die neue Eisenbahnlinie ein Schlüsselprojekt für Äthiopien: „Das Bergland muss nachhaltig erschlossen werden. Überregionale Verkehrswege machen es überhaupt erst möglich, dass Menschen und Güter von A nach B kommen. Und das schafft wiederum die Voraussetzungen für eine Ansiedlung von Industrien und damit einhergehend für die Entstehung lokaler Arbeitsplätze.“
Die KfW IPEX-Bank hat für die äthiopische Staatsbahn zusammen mit anderen Banken ein maßgeschneidertes, komplexes Finanzierungspaket zur Unterstützung der insgesamt 1,7 Milliarden US-Dollar teuren Investition auf die Schiene gebracht und sich mit einem eigenen Anteil von 357,5 Millionen US-Dollar daran beteiligt. „Es ist für uns der aktuell größte Kredit in der Geschäftssparte Mobilität und Transport“, erläutert Joseph Mbuyi die Dimensionen.
Europa liefert Material und Know-how
Der Mammutauftrag ist nichts für Anfänger. Weil die türkische Baufirma Yapı Merkezi schon einige solcher schwierigen Bahnprojekte gestemmt hat, wurde sie mit dem Ausbau der einspurigen Trasse beauftragt. „Die Höhenunterschiede haben uns vor einige Herausforderungen gestellt“, berichtet Erdem Arioglu, Vize-Vorstandsvorsitzender bei Yapı Merkezi. „Aber wir haben es geschafft, die komplexe Streckenführung zu meistern. Die Trasse führt jetzt über 51 Brücken und durch zwölf Tunnel, darunter der längste Eisenbahntunnel Äthiopiens.“
Neben der reinen Bahntrasse mit ihren Tunneln und Brücken mussten in der Bergregion auch Bauplätze für Lokschuppen, Güterhallen und Personenbahnhöfe errichtet werden. Für diese beachtliche Ingenieursleistung wurden etwa 99 Millionen Kubikmeter Erdreich bewegt. Rund 20 Millionen Mannstunden stecken in dem Ausbau des wichtigen Bahnkorridors. Das dafür benötigte Wissen und Material kommt nicht nur aus der Türkei. Ohne Exporte aus Europa wäre die Aufgabe nicht zu schultern gewesen. Auch Unternehmen aus der Schweiz, aus Österreich, Italien, Belgien, Dänemark und Schweden sind an dem Gemeinschaftsprojekt beteiligt.
Meilensteine auf dem Weg zum Schwellenland
Mit der Bahnlinie sind schon jetzt viele qualifizierte Arbeitsplätze entstanden. Lokale Fachkräfte wurden gezielt geschult, um die neue Trasse zu betreiben und instand zu halten. „Know-how-Transfer: Der ist wichtig“, betont Joseph Mbuyi. „Er ist sogar eine wesentliche Voraussetzung, damit die Infrastrukturentwicklung nachhaltig ist. Schließlich plant Äthiopien, bis 2025 den Status eines Entwicklungslandes zu verlassen und Schwellenland zu werden.“
Im Rahmen der Planung und des Baus der Trasse nahm die internationale Beratungsgesellschaft ARUP eine umfassende Umwelt- und Sozialprüfung vor. Für die betroffenen Menschen in der Umgebung der neuen Strecke wurden Ausbildungsprogramme aufgelegt – für Tätigkeiten im Eisenbahnbetrieb, aber auch für landwirtschaftliche Berufe.
Die Sicherheit der einheimischen Bevölkerung hat zudem höchste Priorität. In ihrer Landessprache wurden die Menschen informiert, wie sie die neue und ungewohnte Eisenbahnstrecke sicher überqueren. Schilder mit einfachen Zeichen und Worten klären zusätzlich auf. 77 Unterführungen wurden in die Strecke integriert, damit die Menschen und deren Lasttiere weitestgehend ihre gewohnten Transport- und Wegstrecken nutzen können und um so sicher wie möglich von der einen auf die andere Seite der Schienen zu gelangen. Auch wurde die Bevölkerung bei dem Farbanstrich der Brücken befragt, und sie sprach sich für den Blauton der Landesfarbe Äthiopiens aus.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind schon weite Teile der Eisenbahnstrecke fertig. Weitere knapp 40 Kilometer Anschlussgleise sind zusätzlich in Planung. Die Oberleitungen und Anlagen zur Elektrifizierung stehen zum großen Teil. Erste Testzüge fahren bereits auf der Trasse. Wann allerdings die Stromversorgung über die gesamte Streckenlänge sichergestellt werden kann, ist noch nicht klar. Daran wird zurzeit gearbeitet.
Doch schon jetzt ist man in Äthiopien sehr stolz auf dieses wichtige Infrastrukturprojekt. Die Regierung hat Staatschefs anderer afrikanischer Länder eingeladen, um die Trasse zu präsentieren, und ihre Bedeutung für die Erschließung der Region hervorgehoben. Nicht nur Industrie und Handel sollen von Güterzügen profitieren. Personenzüge können in Zukunft die Mobilität und Flexibilität der Bevölkerung voranbringen. Darüber hinaus ist es möglich, dass langfristig auch Touristen die neue Verbindung nutzen werden, um die Schönheit der bisher wenig erschlossenen Bergregion Äthiopiens bewundern zu können. 389 Kilometer Schienen können eine Menge bewegen und die Weichen Richtung Zukunft stellen.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 8: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle
Das Wirtschaftswachstum vergangener Jahrzehnte vollzog sich auf Kosten natürlicher Ressourcen und des Weltklimas und stößt längst an ökologische Grenzen. Es bräuchte mehrere Planeten Erde, um allen Menschen ein Leben zu ermöglichen, wie es heute in Deutschland selbstverständlich ist. Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bringt soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklungsziele in Einklang. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 10. September 2019
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