In der Digitalisierung ist Kaiserslautern weiter als andere. Zu den geplanten Neuerungen zählt ein sogenannter Dritter Ort, der Sinnbild ist für die Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern.
Wer vom Kaiserslauterer Hauptbahnhof direkt hinauf in den Stadtteil Lämmchesberg geht, kann den Fauthweg nehmen. Nach Einbruch der Dunkelheit wird er beleuchtet. Seit dem Sommer 2019 wird der 300 Meter lange Weg sogar smart beleuchtet. Bewegungsmelder steuern die Leuchten bedarfsgerecht. Wem es nicht hell genug ist, der kann das Licht auch über einen gelben Knopf an den Laternenmasten hochschalten. Und in einer Kurve des Weges projiziert ein Beamer „Vorsicht Glatteis“ vor die Füße, wenn die vor Ort gemessene Temperatur und Luftfeuchtigkeit an dieser Stelle einen gefrorenen Untergrund erwarten lassen. Der Fauthweg ist eine Teststrecke für die Stadt der Zukunft.
Unweit davon, auf der gegenüberliegenden Bahnhofseite, residiert die Ideenwerkstatt für Projekte wie das der „intelligenten“ Straßenlaternen. Sie heißt KL.digital, wird geleitet von Martin Verlage (Bild oben) und ist eine Tochter der Stadt. Ein halbes Dutzend Beschäftigte arbeitet unter dem Slogan „Unser Lautern – herzlich digital“. Ende 2017 mit Unterstützung des rheinland-pfälzischen Innenministeriums gegründet, treibt die Gesellschaft jetzt das Vorhaben voran, eine Smart City zu werden. Kaiserslautern gehört zu den 13 Städten und Gemeinden, die in der ersten Runde des Wettbewerbs „Modellprojekte Smart Cities“ des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) ausgewählt wurden. Die pfälzische Stadt mit ihren rund 100.000 Einwohnern (dazu kommen 54.000 Angehörige der Kaiserslautern Military Community) wird in den kommenden Jahren mit einem Zuschuss von 15 Millionen Euro von der KfW gefördert und diese Investition mit Eigenmitteln um 1,5 Millionen erhöhen.
„Nichts ist schrecklicher als ausgestorbene Innenstädte.“
Wettbewerbsvorteil
Im Gegensatz zu einigen anderen Wettbewerbssiegern spart sich Kaiserslautern die zweijährige Theoriephase, da die Stadt bereits eine Digitalisierungsstrategie besitzt und die Organisation schon aufgebaut hat. Stadtverwaltung und KL.digital sind eingespielt. „Wir wollen deshalb zu Beginn des Jahres 2020 mit der Umsetzung beginnen“, sagt Martin Verlage. „Das Team soll aufgestockt werden. Der größere Aufbau an befristeten Stellen findet in der Stadtverwaltung statt, um dort entsprechende Strukturen für eine Stabsstelle Digitalisierung
zu entwickeln.“
Das vergrößerte Team soll sich acht digitalen Handlungsfeldern widmen. Beim City Information Modelling will man beispielsweise erproben, wie die Daten der Stadt zusammengeführt und somit besser genutzt werden können. Ein weiteres Versuchsfeld ist der „Dritte Ort“. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass Bürgerinnen und Bürger digital vernetzt auf öffentlichen Plätzen temporär Veranstaltungen organisieren, wie beispielsweise einen Tango-Abend, ein Boulespiel oder eine Weinprobe, und damit das Zentrum beleben. Denn „nichts ist schrecklicher als ausgestorbene Innenstädte“, sagt Verlage. Der Dritte Ort gehörte zu jenen Beispielen des technologischen Wandels, die KL.digital wenige Wochen nach der Ernennung zur Smart City auf einem Markt der Möglichkeiten der Bevölkerung vorstellte.
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Das Selbstbedienungsterminal im Rathaus: Hier kann zum Beispiel ein Foto gemacht und der Fingerabdruck für den Pass eingescannt werden.
Teilhabe und Inklusion
„Die Menschen mitzunehmen auf dem Weg in eine digitale Zukunft liegt uns sehr am Herzen“, erklärt Oberbürgermeister Klaus Weichel, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der KL.digital ist. „Wir bieten deshalb nicht nur Arbeitsgruppen in verschiedenen Handlungsfeldern an, sondern auch Vorträge, Workshops, Ausstellungen und Infoveranstaltungen für verschiedene Generationen. Ein niederschwelliger Zugang ist uns wichtig.“ Weichel stuft Digitalisierung in der Stadt als ebenso selbstverständlich ein wie etwa den Straßenbau. „Alle Projekte folgen unserem Leitbild ‚herzlich digital‘, sie sollen den Menschen eine höhere Lebensqualität bringen.“
Das gilt selbstverständlich auch für Menschen mit Handicaps. Das Team von KL.digital plant ein dynamisches Lotsensystem für Blinde und Sehbehinderte. Diese könnten entlang der schon jetzt ertastbaren Routen zusätzlich auf aktuelle Hindernisse wie Baustellen oder Veranstaltungen in der Nähe hingewiesen werden. Bei dem Ideenwettbewerb, den Kaiserslautern anlässlich seiner Bewerbung für die Bitkom-Konkurrenz „Digitale Stadt“ 2017 veranstaltete, erhielt dieses Projekt in der öffentlichen Befragung die meisten Punkte.
Eine andere Idee sind Ausgabeautomaten im öffentlichen Raum, ähnlich den Paketboxen der Post. Von der Kommune betrieben, könnten sich Kunden Waren dorthin liefern lassen, wenn sie während der Öffnungszeiten der Geschäfte keine Zeit zum Einkaufen haben. Oder Bürger organisieren untereinander die Ausleihe von Gerätschaften und nutzen die Box als Zwischenlager. Öffnen und schließen lassen sich solche Boxen über eine App auf dem Smartphone.
„Die Menschen mitzunehmen auf dem Weg in eine digitale Zukunft liegt uns sehr am Herzen.“
Nicht zuletzt steht das Thema Mobilität und hier besonders das teilautonome Fahren auf der Agenda. Das kann, sagt Verlage, eine Antwort werden auf die Frage, welche Angebote der öffentliche Nahverkehr in nachfrageschwachen Zeiten oder auf wenig befahrenen Routen organisieren soll. Es passt in diesem Zusammenhang, dass Kaiserslautern für die kommenden Jahre auch als eine von nur sechs 5G-Modellregionen in Deutschland gefördert wird und dass die Technische Universität, oberhalb des Fauthweges auf dem Lämmchesberg beheimatet, bereits auf dem Campus mit einem teilautonomen Fahrzeug experimentiert.
Sinnvolle Synergien
Ohnehin „wäre die Stadt bei dem Thema Digitalisierung ohne die Universität niemals so weit“, betont Verlage, der selber aus der IT-Branche kommt. Zwei Professoren der TU, Dieter Rombach und Gerhard Steinebach, amtieren – ehrenamtlich – bei der Stadtverwaltung als Chief Digital Officer (Rombach) und Chief Urban Officer (Steinebach). Letzterer ist der Einzige seiner Art in Deutschland und berät die Kommune bei der Stadtentwicklung. Das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering, das Max-Planck-Institut für Softwaresysteme und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz erweitern die technisch-wissenschaftliche Expertise in der Stadt am Rande des Pfälzer Waldes.
„Dem Thema Sicherheit gilt besondere Aufmerksamkeit.“
Modellcharakter
Für alle Projekte gilt: „Sie bringen neue Erkenntnisse und Überraschungen“, so Verlage. Zeigt sich, auch im Austausch mit den Einwohnern der Stadt, dass etwas keinen Sinn ergibt, „bauen wir es zurück“. Eines ist dem Leiter der KL.digital überdies wichtig: Alle Projekte müssen nachhaltig sein, die Stadt, die nicht finanzstark ist, muss sie weiterführen können, wenn die Smart-City-Förderung ausgelaufen ist. Zudem müssen die Projekte übertragbar sein auf andere Kommunen, denn alle ausgewählten Smart Cities sollen Modell sein für Gemeinden ähnlicher Größe in ganz Deutschland. Und nicht zuletzt hat Kaiserslautern eine Vorbildfunktion für das Interkommunale Netzwerk Digitale Stadt in Rheinland-Pfalz. Der Austausch auf dieser Ebene mit mittelgroßen Kommunen wie Andernach, Speyer, Wörth am Rhein oder Zweibrücken beginnt gerade.
Quelle
Der Artikel ist erschienen in CHANCEN Kompakt Frühjahr/Sommer 2020 „Digitale Pioniere".
Zur AusgabeSchon jetzt bekommt die KL.digital überregional Anfragen aus anderen Gemeinden zu ihren Digitalisierungsideen. Viele gelten dem „Mogli“. Diese mobile Glasfaserinfrastruktur passt in einen handlichen Koffer respektive in mehrere davon, wenn WLAN für große Flächen gebraucht wird. Mit einem Glasfaseranschluss vor Ort verbunden, bietet Mogli, zum Beispiel auf Großveranstaltungen wie einem Jahrmarkt, Rettungsdiensten und Polizei eine schnelle, zuverlässige und breitbandige Datenleitung. Das erleichtert ihre Einsätze, denn sie arbeiten unter anderem mit hochaufgelösten Kamerabildern. Wenn gewünscht, kann WLAN auch für Besucher und Standbetreiber angeboten werden. Oberbürgermeister Weichel betont: „Dem Thema Sicherheit gilt besondere Aufmerksamkeit.“ Und digitale Lösungen wie Mogli oder die „intelligenten“ Straßenlaternen sorgen dafür in der Smart City Kaiserslautern.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 9: Widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung
Eine nicht vorhandene oder marode Infrastruktur hemmt die Wirtschaftlichkeit und fördert so die Armut. Beim Aufbau der Infrastruktur sollte der Aspekt der Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen, zum Beispiel mit der Förderung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. Auch Fabriken und Industriestätten sollten nach ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig produzieren, um eine unnötige Umweltbelastung zu vermeiden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 23. Januar 2020.
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