Die Corona-Krise hat vielen Kommunen einen technologischen Entwicklungsschub verpasst. Andere profitieren bereits jetzt von ihrem modernen Standard. Vier Vorbilder aus dem Wettbewerb „Modellprojekte Smart Cities“ von Bundesinnenministerium und KfW.
Im Solinger Rathaus haben sie während der Corona-Krise kurzerhand Fernsehen gemacht. Ein Büro im dritten Stock diente als provisorisches Studio. Behördenmitarbeiter und zugeschaltete Experten erläuterten Schutzmaßnahmen und beantworteten Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. Das einstündige Format „Mensch, rede mit! – Rathaus im Dialog“ lief drei Monate lang, zunächst täglich, später wöchentlich, auf Youtube und Facebook.
Der Livestream war eine von vielen digitalen Antworten auf die Herausforderungen der Pandemie, wie sie beispielhaft die Smart Cities Solingen, Kaiserslautern, Ulm und Gera gegeben haben. Die vier zählen zu den ersten 13 Kommunen und Stadtverbänden, die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und die KfW im Rahmen der „Modellprojekte Smart Cities“ seit dem vergangenen Jahr fördern. Zuschüsse von mittlerweile insgesamt 820 Millionen Euro werden dafür BMI und KfW in vier Staffeln zur Verfügung stellen.
Die Erfahrungen in den vier Städten sind positiv. „Der Bedarf an digitalen Lösungen ist sprunghaft nach oben geschnellt“, sagt Martin Verlage, Geschäftsführer von KL.digital, einer Tochter der Stadt Kaiserslautern. Sabine Meigel, Geschäftsführerin der Ulmer Stabsstelle Digitale Agenda, weiß: „Durch die Corona-Warn-App ist die Diskussion über Datenschutz salonfähig geworden.“ Thomas Schimmel vom Amt für zentrale Steuerung der Stadt Gera befindet: „Die Digitalisierung macht den Umgang mit Krisen leichter.“ Und Dirk Wagner, Leiter der Verwaltungssteuerung im Solinger Rathaus, bilanziert: „Wir bemerken einen Kulturwandel bei der Behandlung digitaler Projekte.“ Die Aussagen passen zum Ergebnis des KfW-Kommunalpanels 2020, für das im April in Deutschland über 440 Kämmerer befragt wurden. 91 Prozent von ihnen gehen von einem digitalen Schub aus – verursacht von der Corona-Krise.
Papierloses Arbeiten in Solingen
Solingen konnte beim Ausbruch von Covid-19 bereits auf eine gute technische Infrastruktur zurückgreifen: Alle Verwaltungsgebäude sind ans Breitband angeschlossen und haben WLAN. 850 der 2.000 Beschäftigten der Stadtverwaltung konnten, überwiegend mit Hardware der Kommune ausgestattet, zu Hause arbeiten; vor Corona waren im Schnitt 250 im Homeoffice. Solinger Parlamentarierinnen und Parlamentarier arbeiten papierlos, da alle Unterlagen auf Tablets verfügbar sind. Da fiel es leicht, Gremientreffen als Videokonferenzen zu organisieren. Stadtratssitzungen wurden live gestreamt.
„Wir bemerken einen Kulturwandel bei der Behandlung digitaler Projekte.“
Die neue städtische App „Mensch, Solingen“ wurde für mehrere Monate ausschließlich mit Corona-Themen bespielt. Fünf digitale Informationsstelen, die die Kommune im Rahmen des Smart-Cities-Projekts in der Innenstadt platzieren wird, standen in den Eingangsbereichen wichtiger Verwaltungsgebäude, solange diese für den Publikumsverkehr geschlossen waren. Das Online-Angebot kommunaler Dienstleistungen kommt nach den Erfahrungen von Dirk Wagner überwiegend gut an: „Vorher dachten wir, da müssen wir ein dickes Brett bohren. Jetzt ist es durch die Krise einfach passiert.“ Die Mitarbeiter merken, sagt Wagner, dass der zeitliche Aufwand geringer wird, die Bürgerinnen und Bürger sparen sich Wege zum Rathaus. Man werde sicher nicht „in die Zeit vor der Krise zurückfallen“.
Digitale Themen in Kaiserslautern
Einen veränderten Umgang mit digitalen Ansätzen beobachtet Martin Verlage in Kaiserslautern bei Schulkollegien. Die seien „ja nicht ins kalte Wasser gesprungen, sondern quasi geschubst worden“, sagt er. Viele Lehrerinnen und Lehrer hätten aber gemerkt, Fernunterricht könne „auch Vorteile haben“. So werde an einer Berufsschule diskutiert, ob bei kleinen Fachklassen, für die Schüler bis zu eineinhalb Stunden Anfahrt in Kauf nehmen müssen, nicht dauerhaft ein Teil des Unterrichts per Video gegeben werden könne. Auch die Stadt Kaiserslautern hat über Wochen live gestreamt. Unterschiedlichste Kulturveranstaltungen liefen in Social-Media-Kanälen und Bürger-TV, 32 insgesamt. Und als Abschluss gab es statt der ausgefallenen analogen „Langen Nacht der Kultur“ eine digitale „Kurze Nacht der Kultur“. Das sollte auch, sagt Verlage, das Signal der Stadt an die Bevölkerung sein: „Wir lassen euch nicht allein.“
„Wir lassen euch nicht allein – das ist das Signal der Stadt an die Bevölkerung.“
Die Kommune hat den Smart-City-Gedanken noch einmal gestärkt mit der Einrichtung der Stabsstelle Digitalisierung. Sie wird von Dirk Andres geleitet und kooperiert eng mit der städtischen KL.digital. Auch Andres erzählt mit Blick auf die Verwaltung von positiven Überraschungen im Umgang mit der Corona-Krise. Ideen zu digitalen Themen hätten Mitarbeiter entwickelt, „die wir nicht auf dem Schirm hatten“. Kurz bevor die Ausbreitung des Virus Veranstaltungen unmöglich machte, waren knapp 300 Bürgerinnen und Bürger zu einer Einwohnerversammlung zu den Themen Smart City und 5G gekommen. Antworten auf die rund 100 dort gestellten Fragen zu Themenfeldern wie lokale Logistik, Mobilitätslösungen oder 5G-Netze wurden auf der Webseite von KL.digital eingestellt.
Digitale Bürgerbeteiligung in Gera
Diese Art Bürgerbeteiligung steht auch beim Smart-Cities-Projekt in Gera ganz oben. Aus den halbjährlichen Bürgerforen haben sich Arbeitsgruppen gebildet. Sie treffen sich coronabedingt auf einer städtischen Online-Plattform. Auf ihr können Bürgerinnen und Bürger virtuelle Räume gründen und Menschen einladen, auch um die pandemiebedingte Isolation zu überwinden. Bei der Einführung neuer Technologien im Zuge der Pandemie hat es nach den Worten des Smart-Cities-Verantwortlichen Thomas Schimmel am „sanften Übergang“ gefehlt: „Das ging an vielen Stellen von null auf digital.“
„Die Digitalisierung macht den Umgang mit Krisen leichter.“
Gera gehört zu den Smart Cities, die zunächst eine Digitalisierungsstrategie ausarbeiten. Gleichwohl will man jetzt auch „schnell Pilotprojekte umsetzen, damit die Bürger etwas Greifbares bekommen“. Wie das Angebot „lieblingsladen.gera“, das während der Krise in den Online-Auftritt der Kommune integriert wurde. Was zunächst gedacht war als Lieferservice für Waren und Dienstleistungen während des Lockdowns, soll nun mit digitalen Zusatzangeboten der Geschäfte und Restaurants dauerhaft aufgewertet werden. Dabei gehe es der Kommune auch darum, „Kaufkraft in der Stadt zu halten“, sagt Thomas Schimmel.
Virtueller Wochenmarkt in Ulm
„Mein-Wochenmarkt.online“ heißt der Bestell- und Lieferservice, der in Ulm kurz vor den Ausgangsbeschränkungen online ging. Während des Lockdowns konnten auf diese Weise Händler des Wochenmarkts vor dem Ulmer Münster Lebensmittel über die Webseite an Kunden verkaufen, die wegen der Infektionsgefahr den Gang zum Markt scheuten. Das Markt-Start-up erhielt deshalb auch Unterstützung von der Kommune. Sabine Meigel, Leiterin der städtischen Stabsstelle Digitale Agenda, spricht von einer „Stärkung der regionalen Wirtschaft“ und nennt den Wochenmarkt als Beispiel für die positive Wirkung des Smart-Cities-Ansatzes in der Corona-Krise. Da habe die „bereits gute Vernetzung mit der Wissenschaft, mit NGOs und Start-ups“ geholfen. So veranstaltete die Digitale Agenda bereits Wochen vor der Einführung der Corona-Warn-App der Bundesregierung auf Youtube eine Bürgerwerkstatt über die medizinischen und datenrechtlichen Aspekte dieser Smartphone-Anwendung.
„Wir müssen uns mehr mit zukünftigen Technologien beschäftigen.“
Quelle
Dieser Artikel ist erschienen in CHANCEN Herbst/Winter 2020 „Jäger des Virus“.
Zur AusgabeZu weiteren Digitalprojekten in der Krise zählte das Videokonferenz-Tool BigBlueButton, das in Ulmer Schulen eingesetzt wurde. Und: Entlang der Donau werden staatenübergreifend zusammen mit anderen Kommunen virtuelle Nachbarschaftstreffen unter dem Titel „Sharing beyond borders“ – „Über Grenzen hinweg teilen“ – organisiert. Die Ulmer Smart-Cities-Strategie ändere sich durch die Krisenerfahrungen, sagt Sabine Meigel: „Wir lernen jeden Tag dazu. Wir müssen uns sehr viel mehr mit zukünftigen Technologien beschäftigen und nicht zu sehr auf das setzen, was heute schon möglich ist.“
Auf KfW Stories veröffentlicht am 5. November 2020.
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