Lederfabrikation Heinen
Corona-Kredite

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„Der Markt ist auf links gedreht“

Der seit fast 130 Jahren produzierende Lederhersteller Heinen hat viele Krisen überlebt, nun sieht sich der Betrieb im Kreis Heinsberg der Corona-Pandemie gegenüber. Direkt ist er nicht betroffen, indirekt sehr wohl: Die ohnehin kränkelnde Schuhindustrie erlebt starke Einbrüche.

Thomas Heinen, Heinen Lederfabrikation

Der Unternehmer Thomas Heinen und seine Produkte: Aufgebockt liegen Leder für Kunden zur Besichtigung bereit.

Das alte Backsteingemäuer vibriert an manchen Stellen, und während Thomas Heinen am Holztisch im Besprechungszimmer nach Worten sucht, grollt es durch die Wände. „Unsere ganze Branche wird durchgeschüttelt“, sagt der Firmenchef aus Wegberg im Landkreis Heinsberg. „Der komplette Markt ist auf links gedreht.“ Der Unternehmer in vierter Generation spricht ungeschönt über die Lage seines bald 130 Jahre alten Betriebs und der Modebranche, in der Heinen sein Geschäft macht. Allerdings freut er sich über die Geräusche im Hintergrund. Sie kommen von stählernen Fässern, die sich Tag und Nacht drehen. So hört er, dass es weitergeht.

Leder Heinen ist das letzte Unternehmen in Deutschland, das Qualitätsleder für Schuhe und Taschen produziert. 1891 von Urgroßvater Josef Heinen gegründet, fertigte der Betrieb schon Ende des 19. Jahrhunderts auf dem heutigen Betriebsgelände Schuhsohlen aus Tierhäuten. Was früher Bodensenken, Wasser, pflanzliche Zutaten und viel Zeit erforderte, läuft seit Jahrzehnten maschinell und mit Chemie. Inzwischen unterstützt Computertechnik die Arbeiter. „Wir haben als Gerber unsere Spezialrezepturen, um genau die Lederqualitäten zu erreichen, die uns auszeichnen“, sagt Thomas Heinen. In den verwinkelten Fabrikhallen riecht es streng nach Tierhaut, manchmal stinkt es auch, und fortwährend dröhnt, trommelt, klopft, klackert und poltert es. Schwarz-weiße Häute von deutschen Schlachtbullen verarbeiten die etwa 100 Mitarbeiter mit viel körperlichem Einsatz zu Quadratmeterware mit Farben, Dicke und Mustern nach Kundenwunsch. Der Rohstoff kommt von Fleischfabrikanten in Deutschland – auch von denen, die wegen vermehrter Corona-Fälle unter den Fleischzerlegern in den Schlagzeilen waren.

So traditionell das Geschäft, so global ist die Vernetzung der Modebranche. Zwar gehen 50 Prozent der Rechnungen an Empfänger in Deutschland, aber 98 Prozent des Leders werden jenseits der Grenzen zu Schuhen, seltener zu Taschen und Gürteln verarbeitet. Thomas Heinens Alltag richtete sich bis vor wenigen Monaten nach seinem vollgebuchten Kalender mit viel Jetset, Kundenbesuchen und internationalen Messen.

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Ende März bricht alles ein

Nach dem Jahreswechsel brummte das Geschäft noch, die kreativen Ideen der Modelleure sollten aus buntem Leder gefertigt, die Händler mit neuen Designs für ihre anspruchsvollen Kunden ausgestattet werden. Doch nach der Leitmesse Lineapelle in Mailand Ende Februar beschlich Heinen ein Gefühl. Er las die Meldungen über Corona in Italiens Norden, während daheim im Landkreis Heinsberg eines der ersten deutschen Superspreader-Ereignisse stattfand: jene Karnevalssitzung, die ein exponentielles Wachstum der Corona-Fälle herbeiführte, ehe die Behörden aufmerksam wurden. Als Anfang März Börse und Ölpreis einbrachen, war für Heinen klar: „Das wird nix mehr mit unseren Plänen.“

Er setzte sich an den Schreibtisch und dachte nach: Was passiert mit der Weltwirtschaft, was mit der Modebranche? Was, wenn ein Kunde seine Verarbeitung stilllegen muss oder gar in die Pleite steuert? Was, wenn es einen Corona-Fall in seinem Unternehmen gibt und die Behörden die Produktion stoppen? „Dann haben wir gesehen, wie die ersten Aufträge Ende März runtergeknallt sind. Da habe ich bei der Bank angerufen“, sagt Thomas Heinen.

Mit Helmut Weitz, Firmenkundenberater bei der Kreissparkasse Heinsberg, hat Leder Heinen schon vor der aktuellen Krise zusammengearbeitet. Die Bank ermöglichte im Vorjahr die Investition in eine neue Produktionsstätte in Polen. „Wir kennen das Wegberger Unternehmen und haben jetzt über die Möglichkeiten beraten, den Betrieb in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen mit höherer Liquidität auszustatten“, sagt Weitz. Eine Million Euro habe man bei der KfW in Form des sogenannten Unternehmerkredits beantragt, mit einer Laufzeit von fünf Jahren und einem Prozent Zinsen. „Die Begründung und die von Leder Heinen dafür zur Verfügung gestellten Unterlagen waren hoch professionell“, sagt Weitz, und entsprechend schnell habe die KfW das Darlehen bewilligt. Schon nach etwa zwei Wochen sei das Geld abrufbar gewesen.

Thomas Heinen
„Die Preise sind explodiert.“

Thomas Heinen, Geschäftsführer Leder Heinen

„Flexibel, zielgenau und schnell, das ist genau der Anspruch, den die KfW an ihre Produkte hat, besonders in der Corona-Krise“, sagt Markus Merzbach, Abteilungsdirektor bei der KfW. „Wir laufen in Krisenzeiten auf Hochtouren und freuen uns natürlich besonders, wenn wir spüren, dass die Unterstützung ankommt. Dies wird uns im Moment von vielen Unternehmen und Finanzierungspartnern gespiegelt.“

Buntes Leder

Unterschiedliche Muster, unterschiedliche Farben: Die fertigen Leder liegen bereit für die erste Messe nach Corona.

Strenge Regeln, schlechte Auftragslage

Für Heinen war die schnelle KfW-Hilfe eine gute Nachricht, bei allem angebrachten Pessimismus. Auch infizierte sich im Betrieb niemand mit dem Coronavirus, immerhin, die Firma konnte dauerhaft in drei Schichten Leder verarbeiten, die Maschinen laufen weiter von Sonntagnacht bis Freitagnachmittag. Thomas Heinen trennte die Teams, führte strikte Abstandsregeln ein. Dank öffentlicher Bestellungen für Militärs und Polizeibehörden gibt es auch relativ sichere Aufträge. Aber drum herum brach vieles zusammen: Betrug der Umsatz 2019 noch 35 Millionen Euro, so erwartet Firmenchef Heinen für das laufende Jahr einen Rückgang auf gut 20 Millionen Euro.

Druck gibt es an vielen Stellen, weswegen die Liquidität aus dem Darlehen überlebenswichtig werden könnte. Da ist zum Beispiel die Logistik: Es ist nicht nur schwierig geworden, die produzierten Leder auf Container zu buchen. „Die Preise sind explodiert“, sagt Heinen. Auch brachen Bestellungen in kürzester Zeit weg. Leder Heinen produziert nicht auf Lager, sondern immer mit etwa vier Wochen Vorlauf für die Werke der Schuhhersteller. Und da war schnell zu spüren, dass die Branche substanzielle Probleme hat. „Wir verzeichnen 50 Prozent weniger Aufträge, seit die Corona-Krise begann“, sagt Thomas Heinen, „und damit sind wir noch gut bedient, wenn ich sehe, wie viele Schuhgeschäfte vermutlich nicht überleben werden.“

Corona, sagt Heinen, habe den Strukturwandel in der Schuhmodebranche rasant befeuert. Schon vorher tobte ein Verdrängungswettbewerb, gingen etwa 20 Prozent aller Schuhe online an die Kunden. Das wiederum ist für Heinens Kunden eine Herausforderung: Sie sind Fachhandelsmarken, die die Schuhe den Kunden meist klassisch über den stationären Handel anbieten. Mehrwöchige Ladenschließungen, zurückhaltende Konsumenten nach der Wiederöffnung der Innenstädte, all das hat den Filialen zugesetzt und bringt die Marken unter Druck. „Keiner unserer Kunden kann mir heute sagen, was in vier, in acht oder in zwölf Wochen sein wird“, sagt Thomas Heinen. Mit der Pandemie werde sich der Strukturwandel beschleunigen – und zwischendrin dürfte es auch für sein Unternehmen neue Einschläge geben. Leder Heinen schickte die Mitarbeiter in Kurzarbeit, stockte aber die Löhne auf 80 Prozent auf. Viele Jobs gehören zum Niedriglohnsektor. „Es ist wichtig, dass wir bei unseren Jungs nicht noch größeres Leid verursachen.“ Entlastung gab es immerhin bei den Einkaufspreisen: Der Markt für Tierhäute brach ein, so gewann man etwas Spielraum.

Thomas Heinen geht offen mit seiner Lage um. Er weiß, dass sein Unternehmen eine Qualität liefert, die Kunden in aller Welt schätzen. Er kennt sich aus im Geschäft. Was aber die Corona-Krise nach sich zieht, wie es weitergeht mit den nächsten Kollektionen und den nächsten Saisons, dazu hat er Hoffnungen, aber keine Sicherheiten. „Vielleicht wird es ja wirklich mehr Tourismus in Mitteleuropa geben“, sagt er, das wäre nicht schlecht für Outdoor-Marken und gutes Leder. Seine große Hoffnung: „Es könnte sein, wie es häufig war in früheren Krisen, dass die Menschen ihr Geld eher für ein Paar guter Schuhe ausgeben als für drei Paar schneller Modeware.“

Auf KfW Stories veröffentlicht am 18. Juni 2020.