Das süße Geschäft mit Schokolade verdeckt oft soziale und ökologische Abgründe. Tony's Chocolonely aus Amsterdam setzt auf faire und nachhaltige Kakaoproduktion. Paul Schoenmakers über den Kampf gegen Sklaverei, nötige EU-Gesetze und die Rolle der KfW-Tochter DEG.
Zur Person
Paul Schoenmakers nennt sich „Impactus Prime“, was man in etwa mit „Nachhaltigkeitschef“ übersetzen kann. In dieser Rolle kümmert er sich bei Tony’s Chocolonely um sämtliche Auswirkungen der Kakao-Produktion. 2005 sind die Niederländer angetreten, um die Herstellung „sklavenfrei“ – so heißt das bei der Firma – hinzubekommen. Nicht nur für die eigene Marke. Die Ambition gilt für die gesamte Schokoladen-Produktion der Erde.
Schmeckt Schokolade besser, wenn sie ein gutes Gewissen verspricht, Herr Schoenmakers?
PAUL SCHOENMAKERS: Absolut. Niemand braucht Schokolade als Nahrung. Sie ist Luxus, mit Schokolade verwöhnt man sich selbst oder beschenkt jemanden. Ausbeutung passt nicht dazu. Schokolade schmeckt besser, wenn sie hilft, Missstände zu überwinden.
Auf Ihren Verpackungen werben Sie mit dem Button Together we make chocolate 100 % slave free. Heißt das im Umkehrschluss, dass wir mit dem Kauf irgendeiner Supermarktschokolade Sklaverei in Kauf nehmen?
Die Walk Free Foundation stieß 2018 in einer Studie in Ghana und der Elfenbeinküste auf 30.000 Opfer moderner Sklaverei – und dabei wurden nur gut zugängliche offizielle Kakaoanbaugebiete untersucht. Die beiden Länder bedienen mehr als 60 Prozent der Weltnachfrage nach Kakao. Alle großen Firmen kaufen dort ein. In einer anonymen Handelskette unter Preisdruck lassen sich Verstöße leicht verstecken – und das bedeutet beinahe zwangsläufig extreme Armut, Ausbeutung von Kindern und sogar moderne Sklaverei.
Wäre ein Boykott eine angemessene Reaktion?
Das wäre schrecklich. Für 2,5 Millionen Kleinbauern ist Kakao die Haupteinnahmequelle. Wer sie boykottiert, nimmt ihnen die Lebensgrundlage. Unser Ansatz ist daher: die Kette der Probleme bewusst anerkennen und daran arbeiten, sie zu lösen.
Sie wollen Probleme ins Licht rücken und es besser machen. Wie gelingt Ihnen das?
Die ersten zwei Schritte sind transparente Lieferbeziehungen und langfristige Verträge. Die meisten Kakaobauern wissen nicht, wem sie kommendes Jahr ihr Produkt verkaufen werden. Das bringt Unsicherheit. In der Region erzeugt die extreme Armut viele Probleme: Kinderarbeit, schlechte Arbeitsbedingungen, illegale Abholzungen. Die Armut zu überwinden ist der Schlüssel. Das geht mit höherer Produktivität und vorwiegend besseren Preisen. Darüber sprechen viele Wettbewerber nicht gern.
Europa hat einen guten Teil seines heutigen Reichtums auf Sklaverei aufgebaut. Auch die Kolonialgeschichte der Niederlande ist nicht rühmlich. Ist es eine historische Aufgabe Europas, dieses Problem zu bekämpfen?
Wir haben unseren Store in einem Börsengebäude in Amsterdam, das mit dem Kolonialismus verknüpft ist. Wir müssen uns dieser Vergangenheit verantwortlich stellen – ohne einmal mehr zu sagen, was die Menschen in Afrika zu tun haben. Es geht um Empowerment, Befähigung. Wir geben den Kooperativen, mit denen wir zusammenarbeiten, aber auch anderen Menschen in Ghana und der Elfenbeinküste Treibstoff für Veränderung. Wir wollen Gleichheit in die Beziehung zu den Produzenten bringen und manövrieren uns dabei manchmal sogar in die schlechtere Position.
Inwiefern?
Wir schließen Fünfjahresverträge. Diese lange Bindung ist ungewöhnlich. Die Partner in Afrika können aber kündigen, wenn sie einen besseren Kunden finden und sich schneller entwickeln wollen.
Treffen sich Europäer und Afrikaner heute auf Augenhöhe? Oder ist der Weg noch weit?
Ja und ja. Wir arbeiten hart daran, Gleichheit in unsere Geschäftsbeziehungen zu bringen. Es gibt immer noch einen altmodischen Paternalismus von wohlmeinenden weißen Europäern, die den „armen Afrikanern“ vermeintlich helfen. So kann es nicht laufen. Neulich haben wir ein Projekt in der Elfenbeinküste umgesetzt, bei dem ein Fotograf die Bauern eben nicht als arme, schwitzende Arbeiter porträtierte, sondern als stolze Unternehmer, die sie auch sind.
In Ihrem aktuellen Geschäftsbericht erwähnen Sie 268 Fälle von Kinderarbeit bei Ihren Zulieferern. Wie kann das sein?
In den beiden Ländern arbeiten mehr als 2,3 Millionen Kinder im Kakaosektor, davon 90 Prozent auf illegale Weise. Das bedeutet: gefährliche Arbeit, zu viele Stunden, zu hohe Lasten. Wir wollen diese Kinder finden und die Probleme lösen. Diese Formen der unzulässigen Kinderarbeit bekämpfen wir mit einem umfassenden System, das Kinderarbeit aufspürt und vor Ort Bewusstsein für problematische Bedingungen schafft. Beauftragte bei unseren Partnerkooperativen identifizieren die Fälle und helfen, sie zu überwinden.
Sie sind jetzt Marktführer in den Niederlanden. Haben Sie damit Ihre Mission erfüllt?
Nicht, solange es noch Sklaverei im Schokoladensektor gibt. Wir benennen gern unsere Fortschritte – aber eben auch die vielen offenen Baustellen. Komplexe Probleme lassen sich nicht einfach abhaken.
Sozialer Wandel auf der einen, Geschäftserfolg auf der anderen Seite – wie geht das in der Praxis zusammen?
Vor zwei Jahren kollabierte der nationale Kakaoabnahmepreis in der Elfenbeinküste – eine gewaltige Krise. Für uns hatte das enorme Auswirkungen. Wir kalkulieren unseren höheren Preis für die Bauern, indem wir schauen, welches Einkommen ihre Existenz sichert. Wenn der Rohstoffpreis also einbricht und alle anderen Kosten gleich bleiben, müssen wir als Unternehmen unseren Aufpreis an die Bauern erhöhen, um deren Existenz zu sichern. Wir hoben die Prämie von 375 Dollar auf 600 Dollar pro Tonne an – für uns beinahe zwei Millionen Dollar höhere Ausgaben. Wir haben wochenlang hin und her gerechnet, um die Lücke bei den Bauern zu bestimmen. Dann haben wir diesen Aufpreis in weniger als 20 Minuten beschlossen. So etwas verdeutlicht: Das Ziel bestimmt unser Handeln.
An diesem Ziel arbeiten Sie seit 2005. Wie wirkt Ihre Arbeit bei anderen?
Wir kooperieren mit Albert Heijn, der größten Supermarktkette der Niederlande: Sie hat unlängst unsere fünf Beschaffungsprinzipien übernommen. Das ist ein gewaltiger Meilenstein. Das Bewusstsein der Verbraucher für unsere Anliegen steigt zudem immer weiter, inzwischen kennen in den Niederlanden 75 Prozent die Probleme im Kakaosektor. Wir können auch nachweisen, dass die negativen sozialen und ökologischen Folgen unserer Produkte stetig sinken.
Negative Folgen hat die Kakaoindustrie auch für die Umwelt. Die KfW-Tochter DEG fördert ein Pilotprojekt mit Ihren Zulieferern, bei dem es um die Ökologie geht …
… ja, im Entwicklungskontext lässt sich Armut nicht von Umweltproblemen lösen. Bei Kakaobauern spielt der Boden für die Produktivität die Schlüsselrolle. Um hier zu helfen, arbeiten wir mit Soil & More zusammen, gefördert von der DEG. Zwei Kooperativen, eine in Ghana und eine in der Elfenbeinküste, machen bei unserem Piloten mit.
Worum geht es genau?
Ziel ist, Kompost und Biodünger direkt bei den Bauern zu gewinnen, unter anderem mit Überresten aus der Kakaoernte. Die Wirksamkeit dieser Düngung im Kakaoanbau müssen wir testen. Es gilt, die organische Masse in den oft erschöpften Böden wieder zu steigern. Das Thema ist sehr sensibel. Denn für Kakaobauern sind die Böden und das Alter der Bäume entscheidend. Chemische Dünger sind oft sehr teuer und nicht immer vorrätig. Für Biobauern wären sie ohnehin keine Alternative. Dieses Projekt ist sehr wertvoll, weil es langfristige Aufschlüsse geben wird.
Es gibt Ihre Schokolade auch in Deutschland. Wie läuft es?
Wir sehen Deutschland als enorm wichtigen Markt – die Deutschen essen viel Schokolade und haben vor allem ein hohes Bewusstsein für Probleme in Handelsketten. Es geht jetzt darum, einen Vertrieb zu schaffen, mit dem wir unsere Geschichte erzählen können. Ich erwarte, dass man uns immer häufiger sehen wird – letztlich auch in Supermärkten.
Wir reden über Märkte und Verbraucher. Braucht es für Ihre Ziele nicht auch mehr Gesetze?
Absolut. Natürlich gibt es viele Unternehmen, die etwas mit Nachhaltigkeit machen – aber eben auch weiterhin solche, die andere Interessen verfolgen. Um Regulierung kommt man also nicht herum. Dafür gibt es schließlich auch die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Denen haben sich die Regierungen der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angeschlossen, aber sie setzen die Leitlinien bei den Firmen noch nicht durch. Im nächsten Schritt sollten die Europäische Kommission oder einzelne Länder Gesetze für Lieferketten erlassen. Die EU spielt hier eine wichtige Rolle. Aber es ist natürlich Politik, und die dauert immer länger, als wir es gern hätten.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 4. Juni 2019, aktualisiert am 2. Mai 2023.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 1: Armut beenden
Rund elf Prozent der Weltbevölkerung leben in extremer Armut. Im Jahr 2015 waren es etwa 836 Millionen Menschen. Sie mussten mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen. Die Weltgemeinschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, die extreme Armut bis 2030 komplett zu beenden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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