Stadtwerke Neustadt
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Recycling beim Bau

Der neue Verwaltungsstandort der Stadtwerke im holsteinischen Neustadt setzt Maßstäbe für die kommunale Energiewende. Denn der Neubau erfüllt nicht nur den Standard Null-Emissions-Passivhaus. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft enthält er obendrein recycelte Bauteile. Ein Vorzeigeprojekt, das beim Ideenwettbewerb „EnEff.Gebäude.2050“ ausgezeichnet wurde.

Neustadt in Holstein ist stolze 775 Jahre alt und war einst eine nicht unbedeutende Hafenstadt in der Lübecker Bucht. Schöne alte Häuser zieren die Kleinstadt an der Ostseeküste. Der ehemalige Verwaltungssitz der Neustädter Stadtwerke zählte sicherlich nie dazu. 2014 ist das unattraktive Gebäude aus den 1960er-Jahren abbruchreif, ein Neubau fällig. Vera Litzka, Leiterin der Stadtwerke, erinnert sich: „Gleich zu Projektbeginn haben wir beschlossen: Es soll ein Null-Emissions-Gebäude in nachhaltiger Bauweise werden. Und wir wollen wiederverwendbare Bauteile integrieren.“

Damit haben sich die Stadtwerke ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Für die Umsetzung wurde ein Forschungsteam gebildet, dem neben Vera Litzka von den Stadtwerken mehrere Architekten, Ingenieure und das Kompetenz- und Wissenschaftszentrum für intelligente Energienutzung der Fachhochschule Lübeck angehörten. Eine enge Zusammenarbeit war bei diesem Projekt besonders wichtig: „Bei einem solchen Vorhaben muss der Planungsprozess variabel sein, und die Beteiligten müssen sich auf Änderungen einstellen können“, erläutert Diplom-Ingenieurin Susanne Korhammer vom TARA Ingenieurbüro.

Susanne Korhammer, Vera Litzka, Kim Maertel
Erfolgreiche Zusammenarbeit

Susanne Korhammer (Tara Ingenieurbüro), Vera Litzka (Stadtwerke Neustadt) und Kim Maertel (Tara Ingenieurbüro) (v.l.n.r.) freuen sich über den Neubau.

Neuer Ansatz bei Bau und Planung

So ein Neubau im Sinne der Kreislaufwirtschaft erfordert Weitblick. Nicht nur der Energieverbrauch des fertiggestellten Gebäudes soll möglichst gering sein. Auch die Senkung des CO₂-Ausstoßes beim Bau, bei der Instandhaltung und der Entsorgung wird schon in der Planungsphase berücksichtigt. Das TARA Ingenieurbüro hat das Energiekonzept für den Neubau entwickelt. Wesentlicher Bestandteil: die Lebenszyklusanalyse. „Dabei wird für jedes Bauteil abgewogen und verifiziert, welche Material- und Konstruktionswahl zu einem CO₂-sparenden Gebäude führt – zum Beispiel ob ein massiver Innenwandaufbau in Kalksandstein oder Holz ausgeführt werden soll“, erklärt Susanne Korhammer.

Nach einer fünfmonatigen Planungszeit – von November 2014 bis März 2015 – folgte im Juli 2016 der Spatenstich. Auf einer Grundstücksfläche von 8.300 Quadratmetern sollen drei unterschiedliche Gebäude entstehen – der neue Standort für 58 Mitarbeiter der Stadtwerke Neustadt. Neben der Garage und einem Lager inklusive Werkstätten ist der Verwaltungsbau mit Leitwarte, Archiv und Kantine das Herzstück des Ensembles.

Neustadt Stadtwerke Neubau
Second hand

Eine historische Stützsäule aus Karlsruhe hat in dem Neubau ein neues Zuhause gefunden.

Hohe Ansprüche bei der Energieversorgung

Zum Wohlfühlen soll die durchdachte Innenarchitektur beitragen: „Wir haben großen Wert auf helle Räume mit viel Tageslicht gelegt. Außerdem war uns ein veränderliches Konzept wichtig, das heißt, alle Wände zwischen den Büros sind in Leichtbauweise errichtet, und wir können sie später leicht wieder entnehmen, falls sich an den Anforderungen etwas ändert. Großraumbüros, Teeküchen sowie Kopier- und Materialräume liegen beispielsweise innen, um sie herum führt der Flur und davon gehen die einzelnen Büros ab. Dank Trennwänden aus Aluminium und Glas fällt das Tageslicht von den Büros bis in die Flure hinein“, erklärt Litzka anschaulich.

Bei einem Null-Emissions-Gebäude muss die Jahresbilanz von Energieverbrauch und -gewinn ausgeglichen sein. Für die Energieversorgung wurden eine Erdreichwärmepumpe und ein Blockheizkraftwerk (BHKW) eingebaut, auf dem Dach aller drei Bauten sind Photovoltaikanlagen installiert. Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung sorgen für gutes Klima im Gebäudeinneren. Ein Ergebnis der Lebenszyklusanalyse war, dass statt einer großen, fünf kleinere Lüftungsanlagen verbaut werden sollten – für jeden Brandschutzabschnitt eine. „Das war nicht nur finanziell günstiger und CO₂-effizienter. Wir haben auch berücksichtigt, dass wir in Neustadt keine Firma haben, die eine große Industrielüftungsanlage warten kann“, erklärt Vera Litzka die Entscheidung. Lange Anfahrtswege für Fachhandwerker erhöhen Aufwand und Kosten und verschlechtern die CO₂-Bilanz.

Neustadt Stadtwerke Recycling am Bau
Zweites Leben

In den Bädern wurden gebrauchte Badfliesen verbaut.

Das ehrgeizige Bauprojekt erfordert viel Flexibilität

Wer solches Secondhandmaterial braucht, muss nur wissen, wo er suchen soll: Im Ausland wie in Deutschland gibt es einen Markt für gebrauchte Bauteile, so beispielsweise die Bauteilbörsen. „Wir sind auf einer Börse in Bremen fündig geworden“, berichtet Litzka. Das klingt erst einmal einfach, bringt aber auch Herausforderungen mit sich, wie Korhammer erklärt: „Der Ablauf war Folgender: Bauteile beschaffen, Kosten kalkulieren, zwischenlagern, den Einbau europaweit ausschreiben und anschließend die Bauteile qualitätsgesichert einbauen.“

Immer wieder müssen Pläne angepasst werden. Zum Beispiel waren die gebrauchten Trennwände etwas niedriger als vorgesehen. Das Gleiche gilt für die Technik: „Geplant war der Einsatz von Wärmepumpen, doch dann hatten wir die Chance, ein gebrauchtes BHKW einzusetzen. Dafür mussten wir das Energiekonzept neu aufstellen. Alle Beteiligten – vom Architekten bis zum Anlagentechniker – haben dafür eng zusammengearbeitet, sonst wäre so etwas nicht umsetzbar“, macht Ingenieurin Korhammer deutlich.

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Teppiche aus Fischernetz und Seegras-Akustikelemente

Nachhaltig sind auch die Holzbauweise – 7.000 Kubikmeter Holz wurden verbaut – und der Einsatz von gebrauchten Bauteilen. Die Trennwände aus Aluminium und Glas sind secondhand: Sie waren zuvor in einem Bürokomplex in Hamburg verbaut. Der Teppichboden ist aus alten Fischernetzen gefertigt, recyceltes Glas, sogenannter Schaumglasschotter, dient als Bodendämmung, gebrauchte Badfliesen wurden in die Spiegel in den Sanitärräumen eingearbeitet.

Das ist aber noch nicht alles: Die Akustikwände, die in den Besprechungsräumen den Schallpegel und den Nachhall reduzieren, bestehen unter anderem aus Seegras. „Die Ostsee ist voll davon, jeden Morgen müssen die Bauhöfe die Strände davon befreien. So kann man sich den Überschuss sogar noch zunutze machen“, sagt Litzka zufrieden. Ein Recyclinghighlight ist zudem eine historische Stützsäule aus Karlsruhe, die im Eingangsbereich des Gebäudes Verwendung fand. „Die mussten wir gut vorbereiten, bevor sie eingebaut werden konnte, weil sie ein tragendes Element ist. Aber es hat sich gelohnt.“

Die KfW fördert

Der Bau des Stadtwerke-Gebäudekomplexes in Neustadt wurde mit Mitteln des Programms IKK – Energieeffizient Bauen und Sanieren gefördert.

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Förderung für ein Projekt, das Standards übertrifft

Nach etwa zweijähriger Bauzeit konnten die Stadtwerke Anfang Oktober 2018 den hochmodernen Gebäudekomplex beziehen. Nun folgte der Praxistest: „Ich habe mit Kritik gerechnet, denn der Umzug ist im Vorfeld sehr kritisch beäugt worden“, verrät Vera Litzka. „Wir sind aus dem Stadtzentrum in eine Randlage gezogen – um genau zu sein, in ein Gewerbegebiet, das am Stadteingang und nah an der A1 liegt“, sagt Litzka.

Doch die Sorge war unbegründet. „Die Mitarbeiter fühlen sich sehr wohl. Der alte Bau war schlecht gedämmt, im Sommer konnte man es bei 25 Grad Außentemperatur in den höheren Etagen kaum noch aushalten, weil es sich dort so stark aufgeheizt hat. Diese Probleme sind jetzt passé.“ Skepsis gab es auch wegen des Verkehrslärms von Autobahn und Bundesstraße, die direkt am Gebäude vorbeiführen. „Aber die Dreifachverglasung der Fenster lässt nichts durch. Und da die Lüftung eingeschaltet werden kann, brauchen wir auch keine Fensterlüftung mehr.“

Rund zehn Millionen Euro hat der Bau am neuen Standort gekostet. Unterstützung bei der Finanzierung gab es von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die das Projekt auch weiterhin mit einem Energiemonitoring begleitet, und von der KfW, die das Bauvorhaben im Programm IKK (Energieeffizientes Bauen) mit rund 4,2 Millionen Euro gefördert hat.

„Der Bau ist zukunftsweisend und hat eine Vorbildfunktion auch für andere Kommunen.“

Susanne Korhammer, Diplom-Ingenieurin beim Tara Ingenieurbüro

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Nachhaltig gebaut

Die Fassade wurde aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz errichtet.

„Dieses Bauprojekt ist ein besonders beeindruckendes Beispiel für die Vorbildfunktion und Innovationskraft der Kommunen für die Energiewende vor Ort und dafür, dass Umwelt- und Klimaschutz auf der einen und Rentabilität auf der anderen Seite kein Widerspruch sein müssen“, sagt Janina Oest, Vertriebskoordinatorin für Infrastrukturfinanzierung bei der KfW. Ganz ähnlich formuliert es Ingenieurin Korhammer: „Der Verwaltungsneubau beweist, dass Design nicht in Konflikt mit Energieeffizienz und Nachhaltigkeit steht. Ganz im Gegenteil: Der Bau ist zukunftsweisend und hat eine Vorbildfunktion auch für andere Kommunen.“

Zur Nachhaltigkeit kann das TARA Ingenieurbüro konkrete Zahlen liefern: 29 Prozent CO₂ spart das Gebäude im Gegensatz zu einem vergleichbaren konventionellen Gebäude: 24 Prozent dank des ressourcenschonenden Einsatzes von Anlagentechnik und nachwachsenden Rohstoffen wie beispielsweise Holz und fünf Prozent dank der Wiederverwendung von Baumaterialien.

Zum Energieverbrauch gibt es bisher noch keine Vergleichszahlen. Doch das wird sich ändern, wie Litzka erklärt: „Wir beteiligen uns an einem DBU-Forschungsprojekt. Das beinhaltet ein Energiemonitoring über mehrere Jahre. Wir installieren dazu Strom- und Wärmemengenzähler, um nachzuvollziehen, welche Energieverbräuche in den einzelnen Bereichen anfallen. Das gibt uns für die kommenden Jahre Aufschluss zur kontinuierlichen Optimierung.“

Auszeichnung für das innovative Energiekonzept

Beim Ideenwettbewerb „EnEff.Gebäude.2050" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie wurden die Stadtwerke für den Neubau mit 30.000 Euro Preisgeld belohnt. Begründung: Das Projekt zeichne sich durch ein besonders innovatives Energiekonzept aus. Außerdem wurde es im November 2018 bei der 10. Klima- und Energiekonferenz des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages vorgestellt und erfuhr eine sehr positive Resonanz von den 150 Kommunalvertretern aus ganz Schleswig-Holstein.

Korhammer hofft, dass der Verwaltungsneubau kein Einzelfall bleibt, sondern Maßstäbe für Bauprojekte in ganz Deutschland setzt. „Bei dem Thema Energieeffizienz im Neubau sind wir auf einem guten Weg. Aber Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit müssen weiter vorangebracht werden. Hier stellt der Neubau der Stadtwerke Neustadt ein beeindruckendes Leuchtturmprojekt dar.“

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 6. August 2019

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.