Jedes Jahr landen mehr als elf Millionen Tonnen Plastik in den Meeren. Ein großer Teil des Abfalls wird durch Flüsse transportiert. Das Aachener Start-up Everwave hat Technologien entwickelt, mit deren Hilfe der Müll aufgesammelt werden kann. Dafür wurde es mit dem KfW Award Gründen ausgezeichnet.
Everwave
Landessieger NRW beim KfW Award Gründen 2021 (Quelle: KfW/n-tv)
Tüten, Strohhalme, Flaschen und Badelatschen treiben als Reste unseres Lebensstils überall im Meer. Als Marcella Hansch bei einem Tauchgang auf den Kapverden mehr Plastik als Fische im Wasser sah, entschied sich die angehende Architektin, etwas dagegen zu tun. Für ihre Abschlussarbeit entwarf sie eine 400 Meter lange schwimmende Plattform, die den Müll im Ozean aufnehmen kann. Ein solches Modell umzusetzen, ist aufwendig. Hansch gründete einen Verein, um mit engagierten Gleichgesinnten weiter daran zu arbeiten und widmete dem Projekt ihre ganze Freizeit.
Sie stellte ihre Idee bei einem internationalen Filmfestival vor und begeisterte nicht nur das Publikum, sondern auch den Moderator, Clemens Feigl. Zusammen setzten sie alles auf eine Karte und gaben ihre bisherigen Jobs auf, um eine GmbH zu gründen. Auch Tilman Floehr, der bereits im Verein aktiv war, wollte das Vorhaben unbedingt realisieren. Heute heißt die Firma Everwave, beschäftigt mehrere Mitarbeiter und wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem KfW Award Gründen.
Die Ströme des Abfalls
So sinnvoll das Einsammeln von Plastik in den Ozeanen ist – 80 Prozent des Mülls stammen vom Land. Er wird von den Flüssen transportiert und wenn sie sauberer sind, ist es auch das Meer. Hinzu kommt: In Flüssen ist das Material in deutlich besserem Zustand, weil es nicht so lange unterwegs war, Sonne und Salzwasser haben es noch nicht so stark angegriffen. Somit kann es in den Kreislauf zurückkehren und zumindest teilweise wiederverwertet werden.
Das Gründertrio adaptierte daher die anfangs entworfene Müllsammel-Plattform für den Einsatz in Flüssen. Durch die Architektur in ihrem Inneren entstehen leichte Turbulenzen, die Festkörper im Wasser in die Reservoirs lenken. Hier werden sie bis zur Entleerung gespeichert. Die Anlage besteht aus mehreren Modulen, so dass ihre Größe an das Abfallaufkommen angepasst werden kann.
Die Plattform sorgt kontinuierlich für Sauberkeit im Fluss, doch wenn eine große Menge beseitigt werden muss, wird ein Spezialboot eingesetzt. Es agiert wie eine schwimmende Sperrmüllabfuhr und kann bis zu 20 Tonnen Müll am Tag abschöpfen. Er wird an Land sortiert und, wenn möglich, dem Recycling zugeführt.
Ein engagiertes Team
v.l. Tilman Floehr und Clemens Feigl gründeten gemeinsam mit Marcella Hansch die Firma Everwave. Helge Adomeit (rechts) ist heute Chief Financial Officer der GmbH.
Analyse mit Drohnen und Künstlicher Intelligenz
Um zu verhindern, dass der Müll überhaupt ins Wasser gelangt, ist wichtig zu wissen, woher er stammt. Dazu sammelt Everwave über Kameras und Sensoren am Boot oder an Brücken Daten. Zusätzlich befliegt eine Drohne den Standort, um Bilder und Videos des Mülls im Wasser aufzunehmen. Die Auswertung erfolgt mit Methoden der Künstlichen Intelligenz. So kann das Aufkommen genau analysiert und sogar vorhergesagt werden. Sind beispielsweise regelmäßig Reststoffe von Produktionen dabei, werden im nächsten Schritt die Verursacher darauf hingewiesen. Treibende Essensverpackungen zu Wochenbeginn hingegen können ein Indiz dafür sein, dass am beliebten Picknickplatz flussaufwärts zu wenige Abfalleimer sind.
Gerade bei einem solchen Abfallvorkommen ist wichtig, die Menschen für die Auswirkungen ihres Verhaltens zu sensibilisieren. Dies ist die dritte Geschäftssäule von Everwave: „Technologien allein lösen das Problem nicht. Deutschland gehört zu den Ländern mit dem höchsten Abfallaufkommen pro Kopf. Ein großer Teil wird ins Ausland exportiert, etwa nach Malaysia oder Indonesien. Dort kann der Müll nicht recycelt werden, weil die entsprechenden Strukturen nicht vorhanden sind. Wer also hierzulande Plastik verbraucht, ist gleichzeitig mitverantwortlich für das Plastik im Meer“, erklärt Marcella Hansch.
Um dieses Bewusstsein schon bei den Jüngsten zu erreichen, hat Everwave Bildungsmaterial für Grundschulen entwickelt. „Kinder sind nicht nur sehr interessiert an diesen Zusammenhängen, oft motivieren sie auch Erwachsene, ihr Verhalten zu überdenken.“
Kooperation mit allen Akteuren
Auch wenn Unternehmen zunehmend versuchen, weniger Kunststoff zu verarbeiten – die Umstellung wird noch Jahre dauern. Bis es soweit ist, bietet Everwave den Betrieben auch Müll-Kompensationen an. Dies geschieht durch sogenannte " Plastic Credits", die mit CO2-Zertifikaten vergleichbar sind. Für einen Euro sammelt das Start-up ein Kilo Müll an besonders belasteten Stellen. So werden die Einsätze finanziert. Im Gegenzug dürfen die Unternehmen darüber berichten oder ihr Logo auf den Booten abbilden.
An den Einsatzorten wird die lokale Bevölkerung eingebunden, beispielsweise um die Boote zu steuern oder den Müll zu sortieren. Die schiere Menge des Abfalls sorgt immer für große Aufmerksamkeit. „In Serbien waren unter den Zuschauenden am Ufer viele lokale Politikerinnen und Politiker. In der Slowakei haben alle Zeitungen und das Fernsehen über uns berichtet“, sagt Tilman Floehr. „Überall bekommen wir dann Gelegenheit, mehr über unsere Mission zu erzählen. Das ist wichtig, denn wir können damit gleichzeitig für Umweltschutz und den Ausbau der lokalen Recyclingtechnologien werben oder beratend zur Seite stehen.“
KfW Award Gründen
Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.
Mehr erfahrenMehr als zehn Jahre sind vergangen, seit Marcella Hansch ihren Entschluss gefasst hat, Plastik im Wasser nicht mehr hinzunehmen. Dass die Lösungen praxistauglich sind, hat Everwave längst bewiesen. Nun geht es darum, sie an möglichst vielen Stellen anzuwenden. „2022 wird unsere Plattform in einem Langzeiteinsatz in Norditalien sein. Boote sammeln dort sowie in Serbien und Kambodscha Müll. Zusätzlich führen wir Gespräche mit einigen afrikanischen Ländern. Wir sind überaus zuversichtlich, dass wir die Welt ein ganzes Stück sauberer machen können!“ sagt Hansch.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 17. Januar 2022, aktualisiert am 8. Juni 2022.
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