Die KfW unterstützt Ägypten dabei, eine moderne Abfallwirtschaft aufzubauen. So soll schließlich auch weniger Plastikmüll ins Mittelmeer gelangen. Ein Interview mit den KfW-Experten Barbara Ölz und Sebastian Aichele über die Reform des Abfallsektors in dem Schwellenland.
Zu den Personen
Barbara Ölz ist Technische Sachverständige im Geschäftsbereich KfW Entwicklungsbank. Sebastian Aichele arbeitet als Projektmanager für die Modernisierung des Abfallsektors in Ägypten.
Wie sieht die Abfallentsorgung in Ägypten momentan aus?
AICHELE: Recht einfach. Aktuell werden nur etwa 60 Prozent des in Ägypten generierten Abfalls gesammelt, fünf Prozent ordnungsgemäß deponiert und 2,5 Prozent recycelt. In der Praxis sieht es so aus: Nur urbane Zentren haben überhaupt Deponien. Die meisten Abfälle werden auf wilden Müllkippen entlang von offenen Kanälen, Straßen und auf freien Flächen entsorgt. Das führt zu zahlreichen Problemen: Die Abfälle verschmutzen das Grundwasser, verstopfen die Wasserpumpen in den Entwässerungskanälen, belasten die Siedlungshygiene in den Wohngebieten und gefährden Tiere und Umwelt. Um dem vorzubeugen, verbrennen die Menschen überall im Land unkontrolliert Müll, was die Luftqualität verschlechtert.
Warum ist das so?
ÖLZ: Die Abfallwirtschaft wurde in Ägypten lange vernachlässigt, während andere Sektoren schon modernisiert wurden. Institutionelle Zuständigkeiten sind teilweise unklar, fachliche und organisatorische Kompetenzen mangelhaft, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen unzureichend. Auch die Bereitschaft der Bevölkerung, für Müllentsorgung und -behandlung Gebühren und Steuern zu zahlen, ist gering. Da muss die Regierung noch einiges tun, um die Menschen mit ins Boot zu holen.
Was ist nun die Rolle der KfW?
AICHELE: Wir unterstützen die ägyptische Regierung dabei, die Abfallwirtschaft ganzheitlich zu modernisieren, und verfolgen einen sogenannten Sektorreformansatz. Das bedeutet, dass wir sowohl finanzielle Unterstützung leisten als auch uns für verbesserte Sektorrahmenbedingungen, etwa mithilfe einer neuen Gesetzgebung, einsetzen. Die KfW arbeitet daran gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union und der Schweiz. Insgesamt ist das ein sehr ambitioniertes Projekt, das 70 Millionen Euro umfasst. 30 Prozent der Kosten trägt die ägyptische Regierung.
Wofür ist denn die finanzielle Unterstützung gedacht?
AICHELE: Wir finanzieren Infrastrukturmaßnahmen wie beispielsweise Bau und Ausrüstung von Deponien, Abfallumladestationen, Sammelausrüstung sowie Recycling- und Behandlungseinrichtungen. Dabei wird die Regierung bei der strategischen Planung und Steuerung der Investitionsmaßnahmen unterstützt. Das Ziel ist eine flächendeckende Abfallsammlung. Schließlich bedeutet jedes Kilogramm Müll, das nicht deponiert wird, potenziell ein Kilo Müll, das im Meer landet. Der Müll, der im Nil landet, gelangt ins Mittelmeer. Um das Bewusstsein für dieses Problem zu steigern, werden deshalb ab jetzt die Maßnahmen auch unter der Clean Oceans Initiative laufen.
Weg mit dem Plastikmüll!
Die KfW Bankengruppe hat Mitte Oktober 2018 gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank und der französischen Entwicklungsbank Agence Française de Développement die Clean Oceans Initiative gestartet. Die Partner stellen zunächst zwei Milliarden Euro bereit, um die Verschmutzung der Weltmeere zu reduzieren.
Mehr erfahrenDer neuen Initiative der KfW, der französischen Entwicklungsbank AFD und der Europäischen Investitionsbank.
ÖLZ: Genau, sie konzentriert sich vor allem auf Sammlung, Vorbehandlung und Recycling von Abfällen, um die Verschmutzung der Meere zu stoppen.
Ist eine flächendeckende Lösung denn realistisch?
ÖLZ: Zunächst beschränken wir uns auf vier der insgesamt 27 ägyptischen Gouvernorate. Aber auch der Anschluss weiterer Gouvernorate ist denkbar. Dies hängt natürlich von den finanziellen Möglichkeiten ab. Der Investitionsbedarf in der ägyptischen Abfallwirtschaft ist mit insgesamt circa drei Milliarden Euro sehr hoch. Übrigens trägt dieses Projekt auch zur Dezentralisierung und zum Aufbau lokaler Strukturen und Kompetenzen bei, weil Abfallwirtschaft ein dezentrales Thema ist und jede Entscheidung eine größere Selbstständigkeit der Gouvernorate fördert. Und es gibt sehr viele Details, die geklärt werden müssen – bis zu der Frage, welches Fahrzeug auf welcher Straße fahren kann.
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Wilde Müllkippen
Die meisten Abfälle landeten in Ägypten bisher auf der Straße, entlang von Kanälen oder auf freien Flächen.
„Jedes Kilo Müll, das nicht deponiert wird, bedeutet ein Kilo Müll, das potenziell im Meer landet.“
Was konnte bislang erreicht werden?
AICHELE: Ein wichtiger Schritt war die Gründung einer nationalen Abfallwirtschaftsbehörde. Da sind wir stolz darauf, dass wir die ägyptische Regierung bei diesem wichtigen institutionellen Reformschritt unterstützen konnten. Die Behörde hat 2015 ihre Arbeit aufgenommen und ist für die Entwicklung der sektoralen Rahmenbedingungen, für die Umsetzung von strukturellen Veränderungen und für die Gesamtsteuerung des Programms zuständig. Momentan liegt das neue Abfallwirtschaftsgesetz dem Parlament vor.
Was passiert mit den alten Deponien?
ÖLZ: Ungeordnete Deponien in den angeschlossenen Projektregionen sollen nach Inbetriebnahme der jeweiligen Neuanlagen geschlossen werden. Der abgelagerte Müll verbleibt dabei vor Ort, da die gesundheitlichen Risiken und die Kosten für eine Räumung meist zu hoch sind. Deshalb werden sie mit Erdmaterial abgedeckt, abgedichtet und gesichert. Internationale Consultants unterstützen das Vorhaben.
Welchen Zeitplan haben Sie?
AICHELE: Wir rechnen mit einem langfristigen Engagement der KfW und mehreren Umsetzungsphasen. Die Ambitionen sind hoch, aber auch der große Wunsch aller Partner, die Modernisierung der ägyptischen Abfallwirtschaft erfolgreich zu gestalten. Das Projekt lässt bis zu 25.000 neue Arbeitsplätze erwarten. Nach Berechnungen der Weltbank kann die Umsetzung einer geordneten Siedlungsabfallwirtschaft das Wirtschaftswachstum um jährlich 0,4 bis 0,7 Prozent steigern.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 29. Januar 2019
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 9: Widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung
Eine nicht vorhandene oder marode Infrastruktur hemmt die Wirtschaftlichkeit und fördert so die Armut. Beim Aufbau der Infrastruktur sollte der Aspekt der Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen, zum Beispiel mit der Förderung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. Auch Fabriken und Industriestätten sollten nach ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig produzieren, um eine unnötige Umweltbelastung zu vermeiden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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