Mit M-Birr können Äthiopier landesweit mit dem Mobiltelefon ohne Bankkonto und ohne Internetzugang Geld transferieren. Die DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH – beteiligt sich mit vier Millionen Euro an dem Unternehmen und ermöglicht ihm damit weiteres Wachstum. Ein großer Erfolg für die beiden Gründer, die nun die ersten Früchte aus zehn Jahren harter Arbeit ernten.
Zu den Personen
Jim Noctor (links) und Thierry Artaud sind die Gründer von M-Birr. Ihr Ziel: Menschen in Äthiopien Zugang zu Finanztransaktionen ermöglichen.
Um fünf Uhr morgens startet der Arbeitstag von Fatuma Dale. Sie arbeitet Vollzeit in einer Brauerei. Vom Gesparten konnte sie bereits ein Haus für ihre Familie bauen – eine schöne Bleibe in fröhlichem Rosa und dunklem Grün gestrichen. Ihren Lohn erhält sie via Mobiltelefon. „Das sichert meine Unabhängigkeit“, sagt Dale in einem Werbefilm von M-Birr, der über die neue Finanzdienstleistung informiert.
Birr ist die äthiopische Währung. Das bargeldlose Geldtransfersystem von M-Birr ermöglicht es dem Nutzer, per Mobiltelefon zu bezahlen oder Geld an Verwandte und Freunde zu schicken. Dazu sind weder ein klassisches Bankkonto noch eine Internetverbindung nötig. Es handelt sich um die erste „Mobile Money Platform“ in Äthiopien.
Das Land am Horn von Afrika befindet sich heute im Aufbruch: politisches Tauwetter, Frieden mit dem Nachbarland Eritrea nach jahrzehntelangem Krieg, Wirtschaftsreformen. Doch 2009, als Thierry Artaud und Jim Noctor M-Birr gründeten, war nicht klar, welche Richtung Äthiopien nehmen würde, das nach wie vor eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt ist.
Mutige Firmengründung
Der Franzose Artaud und der Ire Noctor lernten sich bei einem Softwareunternehmen in Dublin kennen. Fast 30 Jahre ist das her. Thierry Artaud gründete eine Investmentfirma, die ab 2007 mit den Folgen der Weltfinanzkrise zu kämpfen hatte. Das gab den Anstoß zu M-Birr. „Mein Unternehmen hatte keine Zukunft mehr. Da kam Jim mit der Idee zu mir, eine Firma zum mobilen Bezahlen zu gründen. So haben wir es zusammen gewagt, und hier sind wir nun – zehn Jahre später. Viel erlebt, aber immer noch da“, sagt Artaud rückblickend.
An erfolgreichen mobilen Bezahlsystemen wie beispielweise M-Pesa im Nachbarland Kenia konnte sich das Duo orientieren. „Wir bekamen mit, wie gut sich einige Unternehmen in diesem Bereich behaupteten, und sahen uns den Markt genauer an, um auszuloten, welche Möglichkeiten wir hier haben könnten“, erklärt Noctor. Schließlich fiel die Wahl auf Äthiopien – ein mutiger Schritt.
„Wir wollen erreichen, dass Äthiopier denken: Das will ich nutzen, denn es löst mein Problem.“
So funktioniert M-BIRR
Mit der Eingabe der Tastenkombination *818# gelangt der Nutzer zum M-Birr-Menü und kann unter anderem auch Geld versenden. Falls der Empfänger nicht bei M-Birr registriert sein sollte, erhält er einen Gutscheincode, der bei einem Agenten gegen Geld eingetauscht werden kann.
Vernetzung und Teilhabe durch Mobilfunk
Den beiden Gründern war bewusst, welche Herausforderungen sie in dem wenig entwickelten Land erwarteten. Doch das schreckte sie nicht ab. „Damals hat kaum einer das Potenzial gesehen, das in einer solchen Dienstleistung steckt: Menschen in Äthiopien Zugang zu Finanztransaktionen und Teilhabe am Wirtschaftsleben zu ermöglichen.“
Rund drei Viertel der mehr als 100 Millionen Einwohner Äthiopiens haben keinen Zugang zu Bankdienstleistungen. Die Zahl der Mobilfunkteilnehmer steigt jedoch seit Jahren kontinuierlich. Waren es 2008 lediglich 2,3 Millionen, sind es zehn Jahre später bereits 40 Millionen. Der Ausbau des Mobilfunks hat auch dünn besiedelte Gebiete an die Kommunikationsnetze angeschlossen.
Kundenbetreuer über das ganze Land verteilt
Um den Service von M-Birr nutzen zu können, wird zunächst ein Account eingerichtet. Dazu muss der potenzielle Nutzer entweder zu einem Finanzinstitut oder einem M-Birr-Agenten gehen, sich registrieren und eine Ausweiskopie vorlegen. Das Praktische: „Agenten können einen Shop, eine Tankstelle, ein Café oder ein Restaurant, also jede Art von Geschäft führen. Wir haben schon über 6.500 Agenten in ganz Äthiopien, zu denen die Menschen gehen können“, sagt Artaud.
Verwaltet werden die Accounts von Mikrofinanz-Institutionen (MFIs). Das sind Organisationen, die finanzielle Basisdienstleistungen für die Menschen zur Verfügung stellen, die herkömmliche Banken nicht in Anspruch nehmen können. Für jeden Nutzer wird ein Abrechnungskonto bei einer MFI eröffnet. Da inzwischen sechs unterschiedliche MFIs im Land den Service anbieten, konnte ein flächendeckendes Netz geschaffen werden.
Auch ohne Handy den Service nutzen
Auf der M-Birr-Plattform sind für die Nutzer Überweisungen, Einzahlungen sowie Abhebungen möglich. Außerdem können sie ohne großen Aufwand ihre Einkäufe oder Rechnungen mit dem Mobiltelefon bezahlen – vorausgesetzt natürlich, sie haben Geld auf ihren M-Birr-Account geladen. Das können sie ebenfalls bei einer MFI-Filiale oder einem der Agenten erledigen.
Um M-Birr einfach zu halten, nutzt die Plattform USSD-Codes. Das sind die Service- und Steuerbefehle im GSM-Mobilfunknetz. Die Nutzer wählen *818# auf ihrem Handy und ein Menü in ihrer Sprache öffnet sich. Nun können die M-Birr-Nutzer ihr Guthaben abrufen, Geld überweisen oder Rechnungen bezahlen. Das funktioniert auch mit älteren Modellen, wie sie in Äthiopien noch die meisten Menschen besitzen. Ein Smartphone hat dort kaum jemand.
Der Service geht aber noch weiter, denn nicht mal der Besitz eines Mobiltelefons ist zwingend nötig. Wer sich keines leisten kann, erhält stattdessen eine Rubbelkarte mit einer PIN. Diese Nummer gibt er dann beim Agenten in ein Gerät ein und erhält anschließend sein Geld. Somit sind auch die Ärmsten nicht mehr aus dem Finanzsystem ausgeschlossen.
1,2 Millionen registrierte Nutzer
Die Vorteile dieses Bezahldienstes: Er funktioniert schnell, einfach, sicher und rund um die Uhr. Gerade für die Landbevölkerung bedeutet M-Birr einen echten Gewinn, denn auf dem Land gibt es nur wenige Finanzinstitute. Diese Lücke schließen die M-Birr-Agenten: nehmen Bareinzahlungen entgegen oder zahlen Bargeld aus, das der Nutzer auf seinem Mobiltelefon gespeichert hat.
Dass Jim Noctor und Thierry Artaud, trotz eines schwierigen Starts, in Äthiopien den Bedarf richtig erkannt haben, zeigen die aktuellen Zahlen: Ihr Unternehmen hat inzwischen 76 feste Mitarbeiter und 52 Zeitarbeitskräfte sowie weitere 531 Vertriebsmitarbeiter auf Provisionsbasis. M-Birr zählt rund 1,2 Millionen registrierte Nutzer; bis zu 1,8 Milliarden Birr (rund 56 Millionen Euro) werden monatlich über die Plattform transferiert (Stand Oktober 2018). Tendenz weiter steigend.
Mit Werbung im Fernsehen, Radio und auf Fahrzeugen von Mitarbeitern wollen Artaud und Noctor weitere Kunden erreichen. Neben dem Maskottchen – einem Pelikan – sorgt auch der Slogan „The Solution is in your Hand“ für Wiedererkennungswert. Viele Äthiopier kennen diesen Slogan bereits. „Aber das heißt ja nicht automatisch, dass sie wissen, wie der Service ihnen helfen kann“, gibt Artaud zu bedenken.
Ein weiterer wichtiger Faktor, um als nutzbringendes Angebot wahrgenommen zu werden, ist die Mund-zu-Mund-Propaganda. Viele Kunden sprechen mit ihrer Familie, ihren Freunden und ihren Nachbarn über das Bezahlsystem. „Wenn in einer kleinen Stadt beispielsweise zehn M-Birr-Nutzer wohnen, kann man sicher sein: Bald kennt die ganze Stadt M-Birr“, beschreibt Artaud die Wirkung.
Finanzdienstleistungen ausbauen, weiter aufholen
Das Angebot der Plattform wird in Äthiopien dringend benötigt, denn es überbrückt eine Schwäche im nationalen Finanzsystem. M-Birr stellt die einzige Möglichkeit dar, eine einfache Überweisung zwischen zwei verschiedenen Kreditinstituten innerhalb des Landes durchzuführen. Der Grund: Es gibt kein funktionierendes Interbank-Clearingsystem.
Noch ist das bargeldlose Bezahlen für viele Menschen ungewohnt. Getreu dem Motto „Nur Bares ist Wahres“ können sich viele ein Leben ohne Bargeld nicht vorstellen. „Äthiopien hinkt beim Thema Finanzdienstleistungen im Vergleich zu Nachbarländern wie Kenia oder Ruanda stark hinterher. Das liegt unter anderem am niedrigen Bildungslevel. Das Land hat daher viel Nachholbedarf“, sagt Noctor.
Beim Aufholen wollen Jim Noctor und Thierry Artaud, die selbst viel Zeit in Äthiopien verbringen und sowohl die Probleme der Menschen als auch deren Mentalität kennen, mit ihrer Plattform weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Essenziell für das Wachstum sind daher vor allem Investoren, und hier kommt die DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH – ins Spiel. Sie hat sich mit vier Millionen Euro an M-Birr beteiligt. Weitere Investoren sind das finnische Entwicklungsfinanzierungsinstitut Finnfund und die Europäische Investitionsbank (EIB).
„Mein Mobiltelefon ist nicht nur mein Mobiltelefon, es ist auch meine Brieftasche.“
Priorität hat jetzt der Ausbau des Netzwerks
„Wir haben uns aus mehreren Gründen dazu entscheiden, bei M-Birr einzusteigen: Das überwiegend lokale Managementteam, die charismatischen Gründer und das interessante, zukunftsträchtige Businessmodell, das eine enorme positive, entwicklungspolitische Wirkung verspricht, haben uns überzeugt“, erklärt Maxim Meyer, Senior-Investmentmanager bei der DEG und M-Birr-Aufsichtsratsmitglied. Dank des Investments entstehen unter anderem 60 neue Arbeitsplätze, außerdem konnten 2018 fast 2.400 neue Agenten hinzugewonnen werden. Damit kann nicht nur die Geschäftstätigkeit ausgebaut, sondern auch die Reichweite landesweit erhöht werden.
Bei M-Birr fand zudem der Netzwerkgedanke viel Anklang, wie Meyer deutlich macht: „Je mehr Kunden im Netzwerk sind, umso größer ist der Nutzen für jeden einzelnen. Deswegen wird die Priorität in der jetzigen Phase darauf gelegt, den Bekanntheitsgrad von M-Birr zu steigern und möglichst viele neue Kunden sowie Agenten zu gewinnen.“
Artaud und Noctor freuen sich über den Zuspruch für ihre Plattform. „Die Tatsache, dass die DEG in uns investiert, ist auch eine Chance, weitere Investoren zu finden. Denn wenn ein so bekanntes Unternehmen an uns glaubt, stärkt das auch das Vertrauen anderer Firmen in uns“, sagen die beiden Gründer. Oberste Priorität haben das Wachstum sowie die technische Funktionsfähigkeit, damit so viele Äthiopier wie möglich vom Angebot profitieren.
Aus der Sicht von Artaud und Noctor bietet M-Birr für jeden Äthiopier Nutzen. So zum Beispiel für den jungen Mann, der in der Stadt arbeitet und den Großteil des verdienten Geldes seinen Eltern auf dem Land schicken will, damit sie auch davon leben können. Für den Farmer, der vorübergehend einer anderen Arbeit nachgeht, weil der Ertrag seiner Ernte nicht für ein komplettes Jahr reicht, und der den Lohn schnell braucht, um sich versorgen zu können. Und für Biniam Tesfu, der wie die Brauereiangestellte Fatuma Dale in dem Film von M-Birr zu sehen ist und der per Mobiltelefon seine Kleidung, seinen Supermarkteinkauf oder Pizzalieferungen bezahlt.
Der Zugang zum System ist niedrigschwellig. Es braucht den Entschluss, bei einem Agenten oder einem der teilnehmenden Kreditinstitute einen M-Birr-Account einzurichten – mehr nicht. „Die Nutzer erhalten Geld schnell, sicher und vor allem ohne zusätzliche Kosten. Das macht in ihrem Leben einen riesigen Unterschied. Wir wollen weitere Investoren und Unterstützer finden. Dazu müssen wir weiterhin Herausforderungen meistern. Aber der Bedarf für das, was wir bieten, ist da, und das treibt uns an – jeden Tag“, sagt Artaud voller Überzeugung.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 9. Juli 2019
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 1: Armut beenden
Rund elf Prozent der Weltbevölkerung leben in extremer Armut. Im Jahr 2015 waren es etwa 836 Millionen Menschen. Sie mussten mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen. Die Weltgemeinschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, die extreme Armut bis 2030 komplett zu beenden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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